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Praxisinterview Schleswig-Holstein

Kunst machen ohne Ablenkung während der Schulzeit geht nicht? Geht doch!

Intensiv künstlerisch arbeiten können ohne die Ablenkung durch Verpflichtungen aus anderen Schulfächern – das wird Kindern und Jugendlichen wenigstens für ein paar Tage im Rahmen des Schulalltags ermöglicht. Dahinter steckt das Projekt „Kunst hoch Schule“, in dem freischaffende Künstler:innen mit Schulen in ganz Schleswig-Holstein die Praxis zeitgenössischer Kunst erfahrbar machen.

Ute Diez leitet seit 2014 das landesweite Projekt „Kunst hoch Schule“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Als freischaffende Künstlerin schafft sie Kunst am Bau und im öffentlichen Raum. Zuletzt realisierte sie Kunstangebote für sehbehinderte Menschen.

Sabrina Schuppelius ist ebenfalls freischaffend künstlerisch tätig, überwiegend im Bereich Performance und Installation. An der Muthesius Kunsthochschule ist sie Studiengangskoordinatorin für freie Kunst und Lehramt und hat in der Vergangenheit zwei Workshops mit Schulklassen im Rahmen des Projekts „Kunst hoch Schule“ umgesetzt. In ihrer künstlerischen Arbeit möchte sie die Distanz der Menschen zur Kunst verringern, sie teilt deshalb mit Ute Diez die Vorliebe, im öffentlichen Raum zu arbeiten. Kein Zufall, wie beide betonen: Sie sehen eine Verbindung zwischen der kulturellen Bildung und Kunst im öffentlichen Raum, indem bei beiden Brücken gebaut werden zwischen den Menschen und der Kunstpraxis.

In dem Projekt „Kunst hoch Schule“ bekommen Schulklassen die Möglichkeit, mehrere Tage an einem künstlerischen Workshop teilzunehmen. Sie können dadurch intensiv künstlerisch arbeiten und lernen die Arbeit an einer Kunsthochschule kennen. Stellen Sie bitte vor, was dort genau passiert.

Ute Diez: Es geht im Kern darum, dass die Kinder und Jugendlichen Kunst ohne Ablenkung machen können. Der künstlerische Workshop findet meist an einem außerschulischen Lernort in der Nähe ihrer Schule statt, durchgeführt von Künstler:innen, die zuvor bei uns Projektideen eingereicht haben und von uns ausgewählt wurden. Lehrer:innen bewerben sich ebenfalls mit einer Lerngruppe bei uns. Überwiegend sind das Kunstlehrer:innen, weil diese ein ausgeprägteres Interesse daran haben, das Kunstangebot an den Schulen zu erweitern. Für eine intensive künstlerische Praxis ist im Lehrplan kaum Platz vorhanden. Wenn die Künstler:innen den Workshop umsetzen, müssen die Schüler:innen in dem Zeitraum keinen anderen Verpflichtungen aus den anderen Fächern nachkommen, so können sie sich ausschließlich auf die künstlerische Arbeit konzentrieren. Die Workshops weisen eine künstlerische Qualität auf, zeichnen sich durch einen zeitgenössischen Ansatz aus und ergänzen das Angebot aus dem Kunstunterricht. Das Projekt läuft bereits seit zwölf Jahren, zu Beginn waren es zehn bis zwölf Workshops im Jahr, inzwischen werden über 40 Workshops umgesetzt und wir können leider nicht allen Nachfragen nachkommen.

Wie entstehen die Themen für die Workshops und wodurch zeichnet sich die Arbeitsweise der Künstler:innen mit den Schüler:innen aus?

Ute Diez: Die Künstler:innen sind frei darin, sich mit einem Thema für die Durchführung eines Workshops im Rahmen des Projekts zu bewerben. Es ist sehr interessant, was sie entwickeln und man erkennt klar die künstlerische Person mit ihren Interessen und Fähigkeiten hinter der Idee.

Künstler:innen und zeitgenössische Kunst nahbar machen

Sabrina Schuppelius: Ich möchte den Schüler:innen zeigen, was aktuelle zeitgenössische Kunst alles sein kann, was möglich ist. Dies schließt unter anderem die Sparten Architektur, Fotografie und Industriedesign ein. Im klassischen Kunstunterricht kommt dies in der Regel nicht vor, kunstgeschichtlich betrachtet endet der Unterricht bei den 1950er-Jahren. Im Workshop habe ich einen niedrigschwelligen Einstieg gewählt und zunächst Arbeiten von zeitgenössischen Künstler:innen gezeigt. Dann habe ich den Schüler:innen eine einfache Aufgabe gestellt, anschließend sprechen wir gemeinsam darüber. Und das zieht sich durch den gesamten Workshop: im Gespräch mit den Schüler:innen sein über das, was sie erarbeiten und sich über zeitgenössische Werke austauschen. In diesen Gesprächen begegnen wir den Schüler:innen offen und verständnisvoll, etwa in Bezug auf eventuelle Missverständnisse. Es muss schließlich nicht jeder mögen oder verstehen, was Kunst ist. Ich finde es spannend, dem Unverständnis zu begegnen, das die Schüler:innen teilweise zeitgenössischer Kunst entgegenbringen. Ich erinnere mich selber daran, dass ich als Schülerin zunächst keinen Zugang finden konnte. Ein Schlüsselerlebnis in meiner Schulzeit war es, als mein Kunstlehrer einen Fotografen für eine Woche eingeladen hat. Wir haben seine Arbeit kennengelernt und uns darüber ausgetauscht. Das hat mich unglaublich inspiriert und motiviert, später selbst Kunst zu machen.

Ute Diez: Das ist es, was wir in dem Projekt erreichen wollen: Berührungsängste mit den Künstler:innen abbauen und das Berufsfeld nahbar machen. Viele junge Menschen haben ein sehr abstraktes Bild von Künstler:innen, wir bringen ihnen zudem den Stellenwert von Kunst nahe.

Neue Inspiration für Schüler:innen und Lehrkräfte

Sabrina Schuppelius: Man lernt am besten in der Praxis. Die Kinder und Jugendlichen sind viel näher dran und es geht, wie häufig im Kunstunterricht, nicht nur darum, Kunstwerke anzuschauen. Die Lehrkräfte können dabei auch lernen. Zwar müssen sie zuvor vieles organisieren, um die Rahmenbedingungen für den Workshop herzustellen, aber während des Workshops nehmen die Lehrer:innen die Möglichkeit, eine neue Herangehensweise oder Technik zu lernen, dankbar an. Ein toller Nebeneffekt dieses Projekts ist, dass daraus neue Netzwerke zwischen Kunstschaffenden und Schulen entstehen. Lehrkräfte, die schon mehrfach an dem Projekt teilgenommen haben, beantragen Fördermittel, um mit den Künstler:innen erneut zusammenarbeiten zu können. So ergeben sich weitere Projekte mit den Schulen, wovon alle profitieren.

Mit welcher Motivation setzen Sie das Projekt „Kunst hoch Schule“ um?

Ute Diez: Mit diesem Projekt wollten wir zunächst einmal dem Mangel an Kunstlehrer:innen entgegenwirken und Lücken auffangen. Es geht jedoch nicht um einen Ersatz des Unterrichts. Vielmehr soll durch unser Angebot Kunstpraxis an den Schulen möglich sein. Dadurch werden Fähigkeiten der Schüler:innen sichtbar, die sonst nicht entdeckt werden. Kinder und Jugendliche, die sonst Schwierigkeiten in der Schule haben, blühen in dem Projekt regelrecht auf. Und auch schulabstinente Schüler:innen können wir für uns gewinnen. Häufig ist es so, dass diese Schüler:inen dann wieder regelmäßig in die Schule kommen, wenn der künstlerische Workshop stattfindet. Es tut ihnen gut, mal den Fokus im Schulalltag zu verlagern. In der Oberstufe geht es auch darum, das Berufsbild der Künstler:innen vorzustellen.

Nachfrage von Schulen und Kitas ist groß

Was sind für Sie noch Entwicklungspotenziale in dem Projekt?

Ute Diez: Ich würde gerne den großen Bedarf an Schulen besser abdecken. Wir bekommen so viele Anfragen von Schulen, die gerne einen künstlerischen Workshop durchführen möchten. Wir haben allerdings nicht genug Ressourcen, um dem nachzukommen. Ich würde zudem gerne zukünftig auch wieder regulär Workshops für Kitas anbieten. Wir haben dies vereinzelt schon ausprobiert. Auch von der Seite ist der Bedarf vorhanden und es ist erwiesen, dass kulturelle Bildung so früh wie möglich ansetzen soll. Kita-Kinder sind noch nicht so stark in institutionelle Abläufe eingebunden wie Schulkinder. Das gibt ihnen mehr Freiräume zum künstlerischen Arbeiten. Es ist auch möglich, sie behutsam an die Sachen heranzuführen, die die Künstler:innen auch schon mit größeren Kindern machen. Es wäre großartig, wenn wir das zukünftig mit weiteren Förder:innen der entsprechenden zuständigen Stellen wieder aufbauen und verstetigen könnten.

Landschaft von oben

Kulturelle Bildung in Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein fanden in den vergangenen Jahren umfassende Weiterbildungen des künstlerischen und pädagogischen Personals statt. Diese Professionalisierungsoffensive ist eines der Ergebnisse des Kulturdialogs, einer partizipativ gestalteten Plattform für Politik, Verwaltung, Bildung und Kultur, die den Kurs in der Kulturförderung und kulturellen Bildung definiert.
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