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Leben und Lernen zwischen Burgen und Bergen: In Sachsen-Anhalt trifft geballte Kulturgeschichte auf typische Herausforderungen ländlicher Räume.

Kulturelle Bildung in Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt trifft geballte Kulturgeschichte auf typische Herausforderungen ländlicher Räume.

Mit fünf UNESCO-Welterbestätten und einer hohen Dichte an Kulturdenkmalen bietet das Flächenland Sachsen-Anhalt eindrucksvolle Kulturlandschaften. Dass diese auch zu Bildungslandschaften werden, daran arbeitet das Land Sachsen-Anhalt durch Kooperationsprojekte zwischen Schulen, Kultureinrichtungen und Akteur:innen der Kultur-, Bildungs- und Jugendarbeit und mit einem starken Fokus auf der kulturelle Grundversorgung ländlicher Räume.

Dorf macht Kultur: Theater als lokale Gemeinschaftsproduktion

An einem Sommerabend 2019 strömen über 1.000 Besucher:innen zu einem kulturellen Highlight an die Elbe – ein in Hamburg oder Dresden vertrautes Bild, aber Ausnahmezustand in Bittkau in der Altmark, einem 600-Einwohner-Dorf knapp 50 Kilometer nordöstlich von Magdeburg.

In der „Sommerrevue“ nahmen rund 50 Darsteller:innen ihr Publikum mit auf eine Reise durch die Dorfvergangenheit: von den Anfangsjahren über den Nationalsozialismus und die DDR-Jahre bis hin zur Wende in die Gegenwart. Von Kostümwechseln begleitete musikalische Einlagen wurden von neugierig nachfragenden Kindern unterbrochen, die gerade von einer Klima-Demo aus Berlin in den Dorfalltag zurückgekommen sind.

Beteiligt an dem Großprojekt war neben dem Team um Regisseurin Dorothea Lübbe nahezu die halbe Dorfgemeinschaft: unter anderem der Elbchor Bittkau/Grieben, der örtliche Heimat- und Schifferverein, die Freiwillige Feuerwehr Bittkau, eine regionale Tanzschule und insgesamt 80 lokale Mitspieler:innen und Helfer:innen hinter den Kulissen – ein Dorf als Gesamtkunstwerk.

Der Entscheidung, in Bittkau eine solch aufwendige Bühnenproduktion trotz nicht ganz einfacher Rahmenbedingungen für Transport und Materialbeschaffung umzusetzen, ging wenige Jahre vorher eine aufrüttelnde Nachricht voraus: Dem örtlichen Jugendclub, und damit einem wichtigen Begegnungsort für junge Menschen im Dorf, drohte das Aus. Die Suche nach Möglichkeiten zum Erhalt führte zum Kontakt mit den Ansprechpartner:innen von „Dehnungsfuge“. Diese mit Mitteln aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderte Initiative der .lkj) – Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e. V. entwickelte über fünf Jahre hinweg in ländlichen Räumen kulturelle Projekte. Das Ziel: Differenzen und Spannungen zwischen den unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der verschiedenen Generationen, aber auch von Eingesessenen und Zugezogenen auszugleichen und so zu einem guten Zusammenleben und -wirken in engen, oft wenig abwechslungsreichen dörflichen Räumen beizutragen.

Durch den Einsatz der professionellen Kulturakteur:innen und durch das bürgerschaftliche Engagement der Dorfbewohner:innen wurde nicht nur ein Kulturerlebnis geschaffen, mit dem sich die Beteiligten und das Publikum  identifizieren konnten. Auch für den Jugendclub wurde mit der Umgestaltung eines ehemaligen Kindergartens zu einem Bürgerhaus eine neue Heimat gefunden.

Ins Heute statt von gestern: Kulturerbe als Gegenstand der kulturellen Bildung

Das Zusammentreffen von Altem und Neuem, der Vergangenheit und der Zukunft ist in Sachsen-Anhalt allgegenwärtig und spiegelt sich besonders in der Kultur wider. In kaum einem anderen deutschen Bundesland findet sich eine so mannigfaltige Kulturlandschaft, die geprägt ist von Denkmalen, bedeutsamen Welterbestätten und einer Vielfalt an immateriellem Kulturerbe.

Viele Angebote der kulturellen Bildung Sachsen-Anhalts speisen sich aus dem allgegenwärtigen kulturellen Erbe von Brauchtum bis Hochkultur. Dabei gehört es zur Zielsetzung kultureller Teilhabe, sowohl in der Breite als auch in der Tiefe an die reiche kulturelle Vergangenheit des Landes anzuknüpfen und gleichzeitig Perspektiven in die Gegenwart und Zukunft zu eröffnen. Wie das gelingen kann, zeigt das Projekt „Musikkoffer Sachsen-Anhalt“. Das vom Land geförderte Onlineportal bietet Bildungsreisen durch die musikalischen Besonderheiten des Landes von Händel über Telemann bis Tokio Hotel. Neben Basisinformationen zu solchen Besonderheiten, Komponist:innen, Musiker:innen, Instrumenten und musikalischen Bräuchen des Landes enthält der Musikkoffer passende Klangbeispiele, Links und Anregungen für den Unterricht wie etwa Nachbauanleitungen für Instrumente. Dass sich dieser Bildungsansatz, jahrhundertealte Kulturgeschichte im Jetzt erlebbar zu machen, nicht auf die Musikgeschichte des Landes beschränkt, zeigen die Luther-Museen in Eisleben, Mansfeld und Wittenberg mit thematisch wechselnden Mitmachausstellungen und spielerischen Angeboten wie Escape Rooms.

Der Blick über den Tellerrand ist als Ergänzung zur Beschäftigung mit lokaler und regionaler Kultur besonders bereichernd. In der Initiative „Museum Global“ haben sich landesweit zehn Museen zusammengeschlossen, die auf Grundlage ihrer Sammlungen Zusammenhänge zwischen verschiedenen globalen Lebensrealitäten eröffnen. Anhand ausgewählter Exponate oder aktueller Ausstellungen macht „Museum Global“ in Bildungsformaten für Schulen oder Erwachsene über Themen wie Ernährung, Handel, Umwelt oder Klima Beziehungen zwischen Orten in Sachsen-Anhalt und dem Globalen Süden sichtbar.

Stadt, Land, Welt: Kulturelle Bildung in allen Räumen

Ein großer Teil der sachsen-anhaltischen Bevölkerung lebt in kleinen Städten und Gemeinden, die in der Regel über ein weniger breites und vielfältiges Kulturangebot verfügen als größere Städte und Ballungsräume. Daher liegt ein Schwerpunkt bei der Entwicklung und Gestaltung von kulturellen Bildungsangeboten auf der kulturellen Grundversorgung der ländlichen Teile des Landes sowie in der Unterstützung von Initiativen und Verbänden, die mit ihrer Arbeit gezielt in die Fläche wirken.

Die .lkj) Sachsen-Anhalt e. V. ist eine wichtige Partnerin des Landes, wenn es darum geht, kulturelle Teilhabe in großen und kleinen Städten, in Stadtteilen und in den Gemeinden zu ermöglichen. In ihren Projekten legt die lkj Wert auf Empowerment von Kindern und Jugendlichen, deren aktive Auseinandersetzung mit ihren Lebenswelten und die Ermutigung, sich aktiv an der kulturellen Infrastruktur ihrer Gemeinden und Stadtteile zu beteiligen. So wurde bei dem Projekt „UtopiaLab“ ein Chatbot eingesetzt, der Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene alleine oder in Gruppen dabei unterstützte, die eigene Umgebung mit Methoden der kreativen Feldforschung zu entdecken und das Wahrgenommene mit Gestaltungsvorschlägen kritisch zu reflektieren. Das Projekt „Sultanin der Altmark“ stellte historische und zeitgenössische Frauen vor, die in verschiedenen Kulturen agiert haben. Es spielte mit seinem Namen einerseits auf bestehende patriarchale Verhältnisse, andererseits auf die weniger bekannte transkulturelle Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt an. Mit crossmedialen Workshops zu verschiedenen künstlerischen Sparten und alltagskulturellen Themen ermutigte das Projekt vor allem bildungsbenachteiligte Jugendliche dazu, ihr Umfeld kulturell mitzugestalten.

Schulische kulturelle Bildung in Sachsen-Anhalt

Kulturelle Bildung an Schulen gehört in Sachsen-Anhalt zu den fächer- und schulformübergreifenden Themen. Im Rahmen der Kernfächer kultureller Bildung – Kunst, Musik und Deutsch, aber auch Geschichte – besteht die Möglichkeit des Unterrichts an außerschulischen Lernorten. Die vielfältige Zusammenarbeit der Schulen mit außerschulischen Einrichtungen wie Museen und Gedenkstätten zeigt, dass auch die Auseinandersetzung mit kulturellem Erbe und kulturellen Identitäten Teil der Bildungsstrategie ist. Hierfür entwickelt das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung museumspädagogische Konzepte und Lehrmaterialien – wie beispielsweise das Programm „Lyonel Feininger – zwischen künstlerischer Freiheit und staatlicher Ausgrenzung“, womit nicht nur fächerübergreifende Bildungsinhalte vermittelt werden, sondern auch die Feininger-Galerie in Quedlinburg als außerschulischer Lernort gestärkt wird.

Gemeinsam mit Bildungspartner:innen wie dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler e. V. und in Kooperationsprogrammen wie „Kulturelles Lernen an Freien Theatern und Schulen“ (KLaTSch!), „Theater als Schule des Sehens“ (TaSS) und „Musisch-ästhetische Bildung“ (MäBi) wird kulturelle Bildung auch ergänzend zum Unterricht erlebnisorientiert und altersgerecht an Schulen umgesetzt. Auch hier findet sich wieder ein Leitmotiv der kulturellen Bildung in Sachsen-Anhalt: die ländlichen Räume als für die Schulen wichtige und identifikationsstiftende Kulturorte.

Tisch mit unten Sachen
Praxisinterview Sachsen-Anhalt

Zweiheimisch statt zwischen den Stühlen

Mieste Hotopp-Riecke von der Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt über transkulturelle Bildung im Rahmen des Projekts „Zweiheimisch:GeNial“
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