Kunst ist mehr als Malen und Zeichnen
Der Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg ermutigt im Rahmen des Förderprogramms „Klasse:Kunst für Brandenburg“ Grund- und Förderschulen des Landes dazu, im Verbund mit anerkannten Kunstschulen den Kunstunterricht über Pinsel und Deckfarbkasten hinaus zu gestalten.
„Klasse:Kunst für Brandenburg“ ist ein Programm des Verbands der Musik- und Kunstschulen Brandenburg für erweiterten und vertiefenden Kunstunterricht, das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg gefördert wird. Erweitert, weil das Programm bis zu drei wöchentliche Unterrichtsstunden ermöglicht und vertiefend, weil diese im Tandem von je einer Lehrkraft der beteiligten Grund- oder Förderschule und einer anerkannten Kunstschule gestaltet werden. Im Schuljahr 2022/23 nehmen Schüler:innen aus 24 Klassen an elf Grund- und Förderschulen an dem Programm teil.
Maike Schönfeld ist Referentin für Bildende und Darstellende Kunst beim Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg und koordiniert die Aktivitäten als Ansprechpartnerin für das Programm. Tobias Öchsle ist Direktor der Wredow-Kunstschule in Brandenburg an der Havel, die seit dem Schuljahr 2019/20 an „Klasse:Kunst für Brandenburg“ teilnimmt.
Wie ist das Programm „Klasse:Kunst für Brandenburg“ entstanden und was ist das Ziel des Programms?
Maike Schönfeld: „Klasse:Kunst für Brandenburg“ wurde 2017 aus dem Bedarf heraus und als Partnerprogramm von „Klasse:Musik für Brandenburg“ entwickelt. Nach einer Pilotphase und Evaluation ist das Programm seit 2019 fest implementiert. Kern des Programms ist ein erweiterter und vertiefender Kunstunterricht in der regulären Stundentafel, an dem die Schüler:innen der „Klasse:Kunst"-Klassen zwei Jahre lang kostenfrei teilnehmen. Im Anschluss startet eine neue "Klasse:Kunst"-Klasse für zwei Jahre. Das Programm bleibt damit dauerhaft und fortlaufend an der Schule. Das inhaltliche Spektrum des Unterrichts ist, unter Berücksichtigung des Rahmenlehrplans, breit gefächert. Zeichnen, Malerei, Grafik, Theater, Plastik, Fotografie – alles ist möglich. Ziel ist, dass die Kinder viele künstlerische Techniken kennenlernen, sich ausprobieren, Kunst rezipieren und selbst ausstellen.
Wie werden die teilnehmenden Grund-, Förder- und Kunstschulen für das Programm ausgewählt und wie finden sie zueinander?
Maike Schönfeld: Der Bewerbungsprozess ist offen und ohne feste Ausschreibungsfristen. Wichtig ist die Bereitschaft der Akteur:innen, sich auf das Programm einzulassen und es gemeinsam umzusetzen. Die Teilnahme an den Fortbildungen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind obligatorisch. Wir versuchen, alle interessierten Schulen aufzunehmen. Allerdings übersteigt der Bedarf die Möglichkeiten.
Tobias Öchsle: Die Grundschule, mit der wir kooperieren, liegt in der direkten Nachbarschaft unserer Kunstschule. „Klasse:Kunst“ war der Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich gemeinsam für das Programm zu bewerben. Aufgrund der räumlichen Nähe haben wir den Unterricht in unsere Ateliers verlagert. Hier finden die Kinder ein anderes künstlerisches Umfeld vor als in ihrer Schule: ein Bildhaueratelier, ein Malatelier, insgesamt viel Platz für verschiedene künstlerische Formate.
Hilfreiche Tandemstruktur
Eine Besonderheit des Programms besteht in den Tandems aus Lehrkräften der teilnehmenden Grund-/Förderschulen und der Kunstschulen. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit und wie werden die Fachkräfte der Kunstschulen auf ihren Einsatz an den Schulen vorbereitet?
Maike Schönfeld: Bevor ein neues Tandem startet, bekommt es eine Programmeinführung und Zeit für Austausch und Planung. Die Durchführung wird von regelmäßigen Fortbildungen begleitet, die wir eng am Bedarf aus der Praxis entwickeln. Die Rollenfindung und Feinjustierung der Kompetenzbereiche im Tandem sind ein individueller Prozess, den wir beratend begleiten. Einige Lehrer:innen, die Kunst unterrichten, sind Fachlehrkräfte, andere sind fachfremd. Und wir ermutigen, dass die Kooperationspartner:innen ihre Einrichtungen auch außerhalb von "Klasse:Kunst" gegenseitig kennenlernen. Je größer das Wissen um die Arbeitsbedingungen und auch Zwänge des anderen, desto besser die persönliche Zusammenarbeit. Das ist unsere Erfahrung.
Tobias Öchsle: Da die Teilnehmer:innenzahl bei den Kursen unserer Kunstschule beschränkt ist, sind unsere Dozierenden eine Klassenstärke von 30 Kindern in der Regel nicht gewohnt. Genau deshalb ist die Tandemstruktur, die gemeinsame Unterrichtsgestaltung, so hilfreich. Unsere Dozierenden und die schulischen Lehrkräfte haben sich gegenseitig hospitiert, um zu verstehen, wie Schulunterricht beziehungsweise ein Kunstschul-Kurs abläuft. Gegenseitiges Interesse bringt auch eine Wertschätzung für die unterschiedlichen Arbeitsbereiche mit sich.
War es auch eine Motivation des Programms, den Stellenwert musisch-künstlerischer Fächer an Grund- und Förderschulen zu stärken?
Maike Schönfeld: Zu stärken und natürlich ganz konkret erfahrbar zu machen, was ästhetische Bildung kann und wie wichtig sie für die Entwicklung ist. Zudem hat die Kooperation zwischen Schule und Kunstschule nicht nur Einfluss auf den Unterricht selbst, sondern auch auf Kollegium und Schulabläufe, beispielsweise durch Kunst-Doppelstunden, Ausstellungen oder gemeinsame Arbeitsgespräche. Von den beteiligten Schulen wird das mehrheitlich als bereichernd empfunden. Aber man muss auch sagen, dass die am Programm beteiligten Schulen für kulturelle Bildung bereits offen sind und um die Vorteile wissen.
Ausprobieren ist erwünscht
Wie unterscheidet sich der Unterricht im Rahmen von „Klasse:Kunst für Brandenburg“ von herkömmlichem Kunstunterricht?
Tobias Öchsle: Mit dem Programmbudget, 500 Euro pro Klasse und Schulhalbjahr, können wir Materialien einkaufen, die die Regelschule über die übliche Elternumlage nicht finanzieren könnte. So lernen die Kinder verschiedene Arbeitsmittel über Pinsel und Malkasten hinaus kennen, wie größere Papierformate, höhere Grammaturen, Acrylfarben, Drucktechniken. Mindestens einmal im Schuljahr arbeiten wir mit keramischen Materialien. Es gibt Raum, sich künstlerisch über mehrere Wochen auszuprobieren und verschiedenen Themen und Techniken zu widmen.
Maike Schönfeld: Mit der Teilnahme an „Klasse:Kunst“ verändert sich der Kunstunterricht an den Schulen quantitativ und qualitativ. Über die personellen Kompetenzen hinaus gibt es finanzielle Mittel für eine künstlerische Grundausstattung, Materialien und Exkursionen. Es gibt mehr Zeit und Möglichkeiten. Die Kinder können entdecken, dass Malen und Zeichnen viel mehr ist als Tuschkasten und Filzstift, und dass auch Kunst an sich viel mehr ist als Malen und Zeichnen. Man kann die Kinder individueller abholen und Dinge miteinander ausprobieren. Und Ausprobieren ist ausdrücklich erwünscht, einschließlich der Herausforderungen, die es mit sich bringt.
Wie profitieren die beteiligten Schulen und Kunstschulen von „Klasse:Kunst für Brandenburg“?
Maike Schönfeld: Ein großer Vorteil des Programms ist, dass es einen festen Träger hat, der sich um die Kommunikation, Administration und Qualitätssicherung kümmert. So können sich die Partner:innen auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Und es ist als Programm dauerhaft und fortlaufend angelegt, eben kein Projekt. Die Beteiligten haben Zeit und damit auch eine höhere Motivation, einander kennenzulernen und gemeinsam Pläne zu machen. Der größte Profiteur aber sind die Kinder.
Tobias Öchsle: Die verpflichtenden Fortbildungen sind ein echter Gewinn. Unsere Lehrkräfte können dort Fragen stellen, die sie etwa im pädagogischen Bereich haben, und können hier viel für ihre Arbeit nutzen. Die Schullehrkräfte wiederum nehmen oftmals von unseren Dozierenden Ideen, etwa für die Gestaltung ihrer Projektwochen, mit.
Den Kindern viel mehr zutrauen
Wie nehmen die teilnehmenden Kinder das Programm wahr?
Maike Schönfeld: Die Kinder nehmen mit großer Begeisterung am „Klasse:Kunst“-Unterricht teil. Sie merken sehr genau, dass der Unterricht besonders ist, dass sie sich entfalten dürfen, dass sie selbst gefragt sind. An den Schulen werden Jahresausstellungen organisiert, alle zwei Jahre gibt es eine große Gesamtausstellung aller teilnehmenden Schulen. Das hat eine große Wirkung auf die Kinder. Mittlerweile erleben die Kinder das Programm als festen Bestandteil ihrer Schule und freuen sich, wenn sie selbst eine "Klasse:Kunst"-Klasse werden.
Tobias Öchsle: Eine unserer Dozentinnen hat in einem Upcycling-Projekt im Rahmen von „Klasse:Kunst“ unter anderem mit Heißkleber gearbeitet – in der ersten Klasse nicht selbstverständlich. Am Ende hat alles sehr gut funktioniert, die Ergebnisse waren toll und alle stolz auf ihre Werke. Dass man den Kindern viel mehr zutraut, gefällt mir besonders an dem Programm.