Ein Kulturhaus, in dem Inklusion funktioniert
Klassenzimmertheater, Jugendclub und Probenklassen: Das inklusive RambaZamba Theater engagiert sich mit verschiedenen Formaten im Bereich kulturelle Bildung. Um Perspektivwechsel zu ermöglichen und Sehgewohnheiten zu durchbrechen, leisten die Mitarbeiter:innen der Theaterpädagogik tägliche Überzeugungsarbeit in Schulen und in der Berliner Kulturlandschaft.
Das 1990 gegründete RambaZamba Theater mit Sitz in der Kulturbrauerei ist unter den vielen Berliner Spielstätten eine besondere: Hier arbeiten Menschen mit geistiger Behinderung als professionelle Schauspieler:innen, seit 2007 hauptberuflich. Das RambaZamba Theater, welches seit 2001 eine institutionelle Förderung der Kulturverwaltung Berlin erhält, ermöglicht mit theaterpädagogischen Formaten Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.
Kirsten Burger leitet seit August 2022 die Theaterpädagogik am RambaZamba Theater. Sie arbeitet seit 25 Jahren als Filmemacherin, Regisseurin, Schauspielerin und Theaterpädagogin und baut die Kooperationen zwischen dem RambaZamba Theater zur vielfältigen Berliner Kulturlandschaft aus.
Ihr Kollege Sascha Vajnstajn, ausgebildeter Schauspieler und Theaterpädagoge, ist seit September 2020 am RambaZamba Theater und dort für den Bereich Theater und Schule verantwortlich.
Welche theaterpädagogischen Angebote der kulturellen Bildung gibt es im RambaZamba Theater?
Sascha Vajnstajn: Ein großer Teil unserer theaterpädagogischen Arbeit besteht in der Zusammenarbeit mit Schulen. Wir möchten unser Haus in Richtung Schule öffnen und das Konzept Schule mit Mitteln des Theaters aufbrechen. Dafür touren wir mit einem Tanzstück durch Berliner Klassenzimmer, begleiten mit Schüler:innen der sogenannten Probenklassen Produktionen des RambaZamba Theaters von der Probenphase bis zur Premiere und leiten Schüler:innen dazu an, selbst zu Multiplikator:innen zu werden: Im „Kompliz:innen“-Projekt entwickeln Schüler:innen höherer Klassenstufen Nachgesprächsformate zu Stücken unseres Theaters sowie Spielanleitungen für jüngere Schüler:innen.
Um Begegnungsräume zwischen Schüler:innen mit und ohne Behinderung zu schaffen, beteiligen wir uns mit je einer Berliner Förder- und Regelschule an TUSCH³, einem Modellprojekt im Rahmen von TUSCH – Theater und Schule.
Kirsten Burger: Wir haben einen inklusiven Theaterjugendclub, der momentan aus rund 30 Jugendlichen und jungen Erwachsenen besteht. Die meisten davon sind junge Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir bieten außerdem Workshops für Sonderpädagog:innen und Theaterpädagog:innen an, die auf großes Interesse stoßen. Außerdem bahnen wir Kooperationen mit anderen Berliner Theatern und Kulturorten an, wie etwa mit dem Jungen Deutschen Theater und der Jungen Deutschen Oper.
Kulturelle Bildung als Entlastung statt Überforderung
Wie erreicht ihr eure Teilnehmer:innen?
Sascha Vajnstajn: Indem wir den direkten Kontakt mit Schulen suchen. Momentan haben beispielsweise einige Berliner Schulen Tag der offenen Tür. Dann packen wir unsere Taschen voll mit Informationsmaterial und werben vor Ort bei Lehrer:innen für das Fach Darstellendes Spiel für unsere Formate. Ansonsten halten wir bestehende Kontakte zu Schulen aufrecht, über Mailings und Newsletter. Manchmal kommen Schulen gezielt auf uns zu, zum Beispiel, weil wir gerade ein Stück im Repertoire haben, das sie im Deutschunterricht behandeln oder weil sie zum Thema Ableismus arbeiten. In der Regel müssen wir aber proaktiv Überzeugungsarbeit leisten.
Kirsten Burger: Das Thema kulturelle Bildung stellt für Schulen oft eine gefühlte Überforderung dar. Viele Schulen in Berlin sind überfüllt; in manchen Horten kommen auf 200 Kinder fünf Erzieher:innen. In einigen Berliner Bezirken ist Kinderarmut ein echtes Problem. Daher müssen wir oft ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Angebote kultureller Bildung den Schüler:innen zugutekommen und den Schulen eher Arbeit abnehmen, statt ihnen mehr davon aufzubürden.
Das RambaZamba Theater bildet mit seiner inklusiven Ausrichtung außerdem einen Bereich ab, der sich leider immer noch am Rande der Gesellschaft befindet und als „unsexy“ gilt. Umso aktiver müssen wir in unserer Kommunikation sein. Sind die Menschen einmal bei uns, sind sie von unseren Produktionen bewegt und berührt, aber bis sie kommen, dauert es eben oft.
Dekonstruieren, was „normal“ oder „anders“ ist
Aus welcher Motivation nehmen junge Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen an den Angeboten des RambaZamba Theaters teil?
Sascha Vajnstajn: Beim Theater können junge Menschen mit und ohne Beeinträchtigung vieles ausprobieren und dekonstruieren, sie lernen verstehen, dass vieles in unserer Gesellschaft, so wie „normal“ oder „anders“ sein, konstruiert ist und dass man diese Phänomene hier anders behandeln kann als in der Schule. Meiner Erfahrung nach geht es bei jungen Menschen, die Theater spielen möchten, nicht unbedingt um ein bewusstes Interesse am Theater, sondern darum, sich entfalten, spielen, Spaß haben zu können.
Kirsten Burger: Ich finde es schön, dass an immer mehr Berliner Theatern Angebote zur Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen entstehen, Theaterprojekte, in denen Kinder und Jugendliche empowert werden und sich künstlerisch entfalten können. Auch neue inklusive Jugendclubs entstehen in Berlin neben dem RambaZamba Theater, etwa im Theater an der Parkaue. Wenn junge Menschen ins RambaZamba Theater kommen, liegt das oft auch daran, dass ihre Eltern unser Haus kennen oder davon gehört haben. Das sind dann besonders interessierte Eltern, die ihre Kinder auf eine bestimmte Weise fördern möchten und eine Vorstellung davon haben, was Theater mit Menschen machen kann.
Hat der Diversitätsdiskurs der vergangenen Jahre positiv zu eurer inklusiven Theaterarbeit beigetragen?
Kirsten Burger: Im Bereich Inklusion passiert gerade viel am Theater, was ich als berührend und bereichernd empfinde. Nach meinem Empfinden wird das Bewusstsein dafür, dass Menschen unterschiedlich sind, größer; das ist wundervoll. Und ich glaube, dass unsere verkopfte Gesellschaft langsam dahinterkommt, dass wir nicht allein mit Intellekt alle unsere Probleme lösen können. Um wieder zu lernen, auf sein Herz, seinen Bauch zu hören, kann man sich viel von den Menschen im RambaZamba Theater abschauen.
Sascha Vajnstajn: Durch das Theater bekommen Menschen mit Behinderung mehr Sichtbarkeit. Denn wo sieht man im Alltag Menschen mit Beeinträchtigung? Und nehmen wir sie selbstverständlich als Teil des Stadtbilds und der Gesellschaft wahr? Oft ist das nicht der Fall. Das RambaZamba Theater ist in dem Sinne keine Einrichtung für Menschen mit Behinderung, sondern ein Kulturhaus, in dem Inklusion funktioniert, und es ist schön, wenn Menschen das sehen können.
Perspektivenwechsel ermöglichen, Sehgewohnheiten hinterfragen
Eines eurer Ziele ist es, die Akzeptanz von Diversität zu steigern und das Interesse am Gegenüber zu wecken. Auf welche Weise kann das geschehen?
Sascha Vajnstajn: Wir schaffen eine Form von Sensibilisierung und einen Raum, der es erlaubt, Fragen zu stellen und Unsicherheiten oder sogar Ängste, die man hat, wenn man nie mit Menschen mit Behinderung zu tun hatte, zu thematisieren. Im zweiten Schritt steht immer die Begegnung im Zentrum. Wir wollen festen Sehgewohnheiten einen Perspektivwechsel entgegenstellen und schaffen dafür ein Setting, in dem Menschen miteinander ins Spiel und ins Gespräch kommen. Teilnehmer:innen aus der sozialen Arbeit oder Sonderpädagogik sind dann oft begeistert davon, was im Bereich inklusives Theater möglich ist und was es bewirkt.
Was hat euch als Theaterkünstler:innen persönlich daran gereizt, das Feld der kulturellen Bildung zu betreten?
Kirsten Burger: Beim Theater bin ich nach dem Studium der Bildenden Kunst eher zufällig gelandet und habe mich dabei oft für Menschen interessiert, die eher am Rand unserer Gesellschaft stehen. Aus diesem Interesse, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen bin ich schließlich zur theaterpädagogischen Arbeit gelangt. Dabei habe ich schnell festgestellt: Das hier ist für mich mehr als Lohn und Brot; es ist eine Herzensangelegenheit.
Sascha Vajnstajn: Meine Motivation kam aus dem Interesse am Vermitteln von Theaterpraxis. Ich habe immer wieder mit Schulgruppen gearbeitet und dabei gemerkt, was es bei den Teilnehmenden auslöst. Für mich war Theater immer eine Form, sich selbst am nächsten und gleichzeitig am weitesten weg von sich selbst zu sein. Der Wunsch, anderen diese Erfahrung zu ermöglichen, treibt mich um. Mit dem Theater einen Rahmen für persönliche Entwicklung zu schaffen und dabei selbst von anderen zu lernen: Dieses Geben und Nehmen macht die Arbeit reizvoll.