Krass Culture Crash Festival in Kooperation mit den Kulturagent:innen Hamburg, Hamburger Schulen und Kampnagel
Escape the Room 2.0
Kurz bevor das Spiel beginnt, blickt der Moderator ernst in die Kamera und spricht eine Triggerwarnung aus: „Es werden diskriminierende und/oder rassistische Situationen gezeigt. Was Sie hier sehen, ist die Realität. Und vor diesen Missständen dürfen wir nicht die Augen verschließen.“ In der Tat ist das Real-Life-Game „Escape the Room 2.0“ kein rein fiktives Kunsterlebnis. Über 400 Hamburger Schüler:innen haben dokumentarische Szenen auf der Grundlage eigener, tatsächlich erlebter Situationen gemeinsam mit drei Regieteams entwickelt. Dabei ging es darum, diskriminierende Settings konkret zu benennen und Handlungsempfehlungen zu erdenken, wie solche Situationen aufgelöst werden können: Was mache ich, wenn…?
Zusammen mit professionellen Schauspieler:innen stehen die Schüler:innen als Figuren vor der Kamera. Die Zuschauer:innen erhalten einen Einblick in den von Diskriminierung geprägten Alltag der Jugendlichen in fünf kurzen Leveln. Die Szenen spielen sich in den geschlossenen Räumen einer Filmstudio-Architektur ab, das Publikum verfolgt das Geschehen über ein Live-Kamerabild. Zusätzlich wird das Videobild in einer Videokonferenz live gestreamt. In jedem Level dürfen die Zuschauer:innen vor Ort aus zwei oder drei Optionen wählen und gemeinsam entscheiden, wie die Handlung weitergehen soll.
Fakten zum Projekt
Bundeskulturstiftung/Programm „dive in“. Aus Mitteln des BKM NEUSTART Kultur
Jugendliche von 14 bis 20 Jahren
Theater, Game
Februar bis Dezember 2021 sowie eine daran anschließende Entwicklungsphase für das digitale Spiel
Fünf Figuren in fünf Leveln
Die Zuschauer:innen können fünf verschiedenen Figuren folgen: einer Afro-Deutschen, einer Romnja, einer non-binären Person, einer Hijabi und einem von Klassismus betroffenen Jungen. Die fünf Stationen, die diese als Level durchlaufen, sind in ihrer Rahmung ähnlich (das Schlafzimmer, der Schulbus, das Klassenzimmer und weitere), die Diskriminierungserfahrungen, die die Jugendlichen darin machen, sind allesamt beklemmend. Das Gesehene wird für die Zuschauer:innen durch Kontextinformationen ergänzt, basierend auf einer Recherche der Schüler:innen.
Neue Kraft ziehen aus dem Durchspielen fiktionaler Handlungsoptionen
In der Entstehungsphase setzten sich die Schüler:innen unter anderem mithilfe von Fragebögen damit auseinander, welche Möglichkeiten sie haben, um bestimmten Situationen zu begegnen. Dabei konnten sie auch auf fiktionale Elemente zurückgreifen, wie die Zeit zurückzudrehen oder eine Superkraft anzuwenden. Die Figur Albert zum Beispiel demonstriert – nach Auswahl der Option „Superkraft“ – der staunenden Lehrerin sein unerwartetes Talent in Mathe. Auf diese Weise wurde es den Teilnehmer:innen möglich, durch die Zuhilfenahme von Vorstellungskraft und Imagination Situationen neu zu betrachten, die eigene Entscheidungs- und Wirkmacht zu erkennen und daraus neue Kraft zu ziehen. Nachhaltig beeindruckt war das künstlerische Team des Krass-Festivals von der bereits entwickelten Resilienz vieler Schüler:innen, die bereits belastende Situationen in ihrem Alltag meistern mussten.
Netze schaffen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
Das Team legte ein besonderes Augenmerk auf einen diskriminierungssensiblen Arbeitsprozess mit den Jugendlichen und ließ sich dazu ausführlich beraten. Das dadurch ermöglichte Vertrauensverhältnis zwischen den Teilnehmer:innen und den künstlerischen Profis ist für Eva Maria Stüting, eine der Leiter:innen, ein wichtiger Faktor: „Wir müssen in der Arbeit mit den Jugendlichen ein Netz schaffen und niemand darf runterfallen. Für sie muss es ein bestärkendes Erlebnis sein, an diesem Projekt mitzuwirken.“
Das aufwendig produzierte Real-Life-Game wurde im Rahmen des Krass-Festivals an vier Abenden gezeigt. Das entstandene Material wird jedoch weiter aufbereitet und soll in Form eines digitalen Spiels bereitgestellt werden, das von Schulklassen gemeinsam gespielt werden kann. Ergänzt werden soll es durch zusätzliches Lehrmaterial und ein Workshopangebot. Ziel ist, dass das Spiel als interaktiver Trainingsraum für Solidarität nutzbar wird und einen Perspektivwechsel ermöglicht – was das Projektteam als einen der effektivsten Ansätze in seiner künstlerischen Antidiskriminierungsarbeit sieht.