Elisabeth Fuckel über ihre Arbeit als Kulturagentin
In Thüringen begleiten fünf Kulturagent:innen die Schulen bei der Entwicklung und Umsetzung von Kulturprojekten. Dabei bringen sie auch die regionale Vernetzung voran. Der flächendeckende Lehrkräftemangel und die strukturellen Schwachstellen in den ländlichen Räumen sind unterdessen Herausforderungen ihrer gewinnbringenden Arbeit, die an den Schulen sehr gefragt ist.
Elisabeth Fuckel ist Kulturagentin, zuständig für den Schulamtsbereich Südthüringen. Sie ist ausgebildete Modedesignerin und hat einige Jahre Berufserfahrung in Berlin gesammelt. Nebenberuflich führte sie dort bereits Kulturprojekte mit Kindern und Jugendlichen durch. Als sie die Zusage für ihren „Traumjob Kulturagentin“ bekam, zog sie in ihre Heimatstadt Erfurt zurück und begleitet seitdem Schulen bei der Umsetzung von Kulturangeboten.
Was genau macht eine Kulturagentin?
Elisabeth Fuckel: Eine Kulturagentin ist eine Person, die sehr vielfältig arbeiten darf. Ich kann an Schulen unterwegs sein, ich treffe Kulturpartner:innen und ich bin an der Ideenentwicklung für Kulturangebote beteiligt. Ich bringe diese Akteur:innen zusammen und trage so auch zur Vernetzung in der Region bei. Wir sind fünf Kulturagent:innen in Thüringen, jeweils für einen Schulamtsbereich zuständig. Wir bringen Schule und Kultur in Projekten zusammen und dafür gibt es finanzielle Mittel, das sogenannte Kunstgeld. Die Maßnahme „Kulturagent:innen Thüringen“ wird von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen e. V. getragen. Zudem gibt es in den Schulämtern jeweils eine:n Referent:in für kulturelle und politische Bildung, die mit uns Kulturagent:innen zusammenarbeiten. Das Kulturagent:innen-Programm gibt es auch in anderen Bundesländern bereits seit 2011, seit 2019 wird es hier allein vom Freistaat Thüringen gefördert. Seitdem hat sich unser Aufgabengebiet etwas verändert. Zuvor habe ich vier Schulen bei der Entwicklung eines kulturellen Schulprofils begleitet, jetzt bin ich für alle Schulen in einem Schulamtsbereich ansprechbar, in Südthüringen sind das über 170 Schulen. Dadurch kann ich nur noch kleine Impulse in die interne Schulorganisation und Profilentwicklung geben. Dafür können jetzt allerdings alle Schulen im Freistaat das Angebot der Kulturagent:innen nutzen. Meine Aufgabe ist es, Schulen dabei zu beraten, kulturelle Angebote für und mit den Schüler:innen umzusetzen. Dabei begleite ich die Schulen von der ersten Idee bis zur Umsetzung. Jede Schule kann Kunstgeld für ihr Projektvorhaben in Höhe von bis zu 2.000 Euro beantragen. Diese Möglichkeit wird gut angenommen: Wir erhalten pro Jahr etwa 100 Anträge. Ich berate außerdem bei der Gewinnung weiterer Fördermittel für die Schulen. Als Ansprechpersonen für das Thema Kultur sind wir Kulturagent:innen angesichts des Lehrkräftemangels und der bestehenden Bildungskrise sehr gefragt. Es braucht einfach Personen, die sich für die Schulen engagieren.
Teilhabe an Kunst und Kultur für alle Kinder ermöglichen
Sie haben Ihren Beruf Kulturagentin als „Traumjob“ bezeichnet. Was erfüllt Sie in diesem Beruf?
Elisabeth Fuckel: An Schulen hat man die Möglichkeit, jedes Kind, jede:n Jugendliche:n zu erreichen – auch aus Haushalten, in denen Eltern mit ihren Kindern nicht regelmäßig Kulturangebote wahrnehmen. Als Kulturagent:innen können wir Teilhabe an Kunst und Kultur ermöglichen, wir können die Horizonte der Kinder erweitern und den Blickwinkel aller Beteiligten verändern. Es ist toll, wenn wir Neugierde für ästhetische Prozesse wecken können. Erst letzte Woche war ich bei einem Theaterprojekt, das sich an der Mischpultmethode nach Maike Plath orientierte. Es war beeindruckend, zu sehen, wie engagiert die Jugendlichen in dem Projekt dabei waren. Sie stecken meist in den fremdbestimmten schulischen Prozessen drin und sehen Schule als Verpflichtung. In diesem Theaterprojekt waren sie seit dem ersten Tag voll dabei und werden dieses Erlebnis nie vergessen. Meine Arbeit gibt mir die Möglichkeit, besondere Erlebnisse für die Kinder zu schaffen und im besten Fall ungeahnte Talente zu entdecken, die Kinder über sich hinauswachsen zu lassen. Das Schönste an meinem Beruf ist es, diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen zu können. Deshalb setze ich ab und an auch noch selber kulturelle Projekte in Schulen und anderen Kulturinstitutionen um. Die praktische Arbeit mit den Kindern fehlt mir schon, denn ein beachtlicher Teil meiner Arbeit ist administrativ.
Regionale Vernetzung unterstützen
Was sind Herausforderungen in Ihrer Arbeit mit den Schulen und Kulturpartner:innen?
Elisabeth Fuckel: Es besteht ein großer Mangel an Lehrkräften. Da könnte man meinen, die Schulen hätten keine Kapazitäten dafür, Kulturprojekte bei sich umzusetzen. Wir können uns vor Anträgen für das Kunstgeld allerdings kaum retten. Mehr Mittel für unsere qualitativen Kulturprojekte sind wichtig, besonders Schulen im ländlichen Raum müssen stärker finanziell unterstützt werden. Die Schulen sehen, was die Projekte bei ihren Schüler:innen bewirken, was das für eine Bereicherung in ihrem Schulalltag ist. Wir achten bei der Konzeption der Angebote zudem darauf, diese passgenau und individuell zu gestalten. Dabei gehen wir auf die Bedarfe der Schulen ein. Ein simples Beispiel ist die Gestaltung von Schulfassaden und -höfen. Viele Schulen in der Region sind alte, marode DDR-Gebäude. Wir setzen auch Projekte um, in denen Schüler:innen mithilfe von Street-Art-Künstler:innen ihre Schulen neu gestalten. Das bewirkt mehr als eine bloße Verschönerung des Gebäudes. Den Schüler:innen bietet es Identifikation und Teilhabechancen, denn sie gestalten einen wesentlichen Teil ihres Alltags mit. Diese individuellen Formate werden sehr geschätzt. Meine Vision ist, dass es in jedem Landkreis und jeder Stadt eine:n Kulturagent:in gibt, denn ich sehe in meiner Arbeit, wie die Akteur:innen in der Region besser miteinander vernetzt werden. Wir führen zum Beispiel Regionalkonferenzen durch, die über das Schulportal beworben werden und von den Lehrkräften buchbar sind. Bei der letzten Veranstaltung waren 20 Schulen vertreten. Die hatten alle Lust, was zu machen, weil sie gesehen haben, was für eine Bereicherung es für die Schüler:innen ist. Während der Veranstaltung haben sich Kulturakteur:innen und Ihre Arbeit vorgestellt und daraus sind bereits konkrete Kooperationen mit Schulen entstanden. Die regionale Vernetzung ist hier sehr wichtig, wenngleich die strukturellen Herausforderungen in den ländlichen Räumen uns einige Stolpersteine bereiten. Im Vergleich zu urbanen Regionen ist es schwieriger, Zugänge zu schaffen. Wir müssen oft für viel Geld einen Bus mieten, um die Schüler:innen zu den Kulturpartner:innen zu bringen. Und es gibt weniger Möglichkeiten „vor der Haustür“, Kinder und Jugendliche in Kontakt mit Kunst und Kultur zu bringen. Häufig scheitert es an hohen Reisekosten.
Neue Themen in Projekten der kulturellen Bildung
Haben Sie das Gefühl, dass sich das Arbeitsfeld der kulturellen Bildung in den letzten Jahren verändert hat? Wie äußert sich diese Veränderung?
Elisabeth Fuckel: Ich stelle fest, dass in meinem Arbeitsfeld in den letzten Jahren neue Themen auftauchen: Diversität, Genderthemen, Antirassismus, Digitalisierung, Interkultur, Nachhaltigkeit. Die haben einen höheren Stellenwert bekommen und das finde ich sehr wichtig und richtig. Diese Themen prägen unsere Gesellschaft, und eine Beschäftigung damit führt dazu, dass wir uns weiterentwickeln. Wenn Schüler:innen daran beteiligt sind, Projektideen für Kulturprojekte zu entwickeln, dann kommen da diese neuen Themen vor, etwa Antirassismus. Die Schüler:innen möchten dazu geschult werden und bauen zum Beispiel einen Wegweiser auf ihrem Schulhof, der aufzeigt, aus welchen Nationen die Schüler:innen und Lehrer:innen ihrer Schule kommen. Sie wollen sich mit anderen Sprachen beschäftigen. Eine Schule hat etwa ein Willkommensheftchen für ukrainische Schüler:innen erstellt, das mit nicht sprachlichen Mitteln durch Piktogramme gestaltet ist. Das sind Beispiele, die mir verdeutlichen, dass die Schüler:innen aktuelle gesellschaftspolitische Themen verhandeln möchten. Eine weitere Entwicklung, die ich beobachte, ist die kulturelle Bildung interdisziplinär zu sehen und sie mit Bildung für nachhaltige Entwicklung und politischer Bildung zu verquicken. Ich habe eine Zeit lang ein Bildungsprojekt zum Thema „Jüdisches Leben in Thüringen“ leiten dürfen. Es ist eine tolle Entwicklung, dass solche Themen mit den Möglichkeiten der kulturellen Bildung vermittelt werden
Wenn Sie sich die Schule in 100 Jahren vorstellen, wie sieht diese aus?
Elisabeth Fuckel: Die Schule in 100 Jahren ist ein helles, offenes Gebäude mit viel Glas und Licht, aber auch gemütlichen Rückzugsorten. Mit vielen Möglichkeiten der individuellen Entfaltung, viel Mitspracherecht für Kinder und Jugendliche ist die Schule ein demokratischer Ort der Mitbestimmung und Selbstwirksamkeitserfahrung. Dort gibt es keinen Frontalunterricht mehr, sondern interessengeleitetes Lernen. In dieser Schule dürfen auch die Lehrkräfte etwas lernen, die Schüler:innen werden ernst genommen und die Kommunikation erfolgt wertschätzend und auf Augenhöhe. Es gibt ausreichend finanzielle Mittel, kleinere Klassen, bestenfalls mehrere Lehrkräfte in einer Klasse und für all das weniger Verwaltungsaufwand und mehr Eigenverantwortung direkt in der Schule. Und es gibt Kulturagent:innen, die die Schule begleiten.