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Praxisinterview Sachsen

Vermittlung beginnt nicht erst, wenn die Ausstellung steht

Im Deutschen Hygiene-Museum Dresden ist der Bereich Bildung und Vermittlung stark aufgestellt und gleichzeitig eine abteilungsübergreifende Aufgabe: Die Verschränkung von Bildungswelten gehört zum Selbstverständnis des Hauses.

Carola Rupprecht ist seit 2012 Leiterin des Bereichs Bildung und Vermittlung beim Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Die promovierte Museumspädagogin ist außerdem Sprecherin der Fachgruppe Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bundesverband Museumspädagogik und Beirätin im Fachausschuss Nachhaltigkeit des Deutschen Kulturrats.

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden wurde 1912 gegründet und versteht sich als offenes Forum für Debatten. Es unterhält neben seiner populärwissenschaftlichen Dauerausstellung und Sonderausstellungen zu wechselnden Fragestellungen aus Wissenschaft, Gesellschaft, Kunst und Kultur auch das Kindermuseum „Welt der Sinne“, das seit seiner Eröffnung im Jahr 2005 bis zu seiner Neugestaltung 2018 eine Million Besucher:innen erreicht hat. Der Bereich Bildung und Vermittlung wird im Deutschen Hygiene-Museum Dresden umfangreich bespielt, unter anderem durch spezielle Angebote für Schulen und Kitas, Bildungspartnerschaften und Fortbildungsangebote für Lehrer:innen.

Seit 2012 leiten Sie den Bereich Bildung und Vermittlung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Wie hat sich der Bereich seither entwickelt?

Carola Rupprecht: Zum einen sind unsere Formate insgesamt vielfältiger geworden, auch digital, zum anderen hat sich unser Umgang mit den Zielgruppen verändert. Wir haben den Bereich Barrierefreiheit in Richtung Inklusion weiterentwickelt und unser Netzwerk entsprechend erweitert. Neu hinzugekommen ist das Thema Diversität: Wir nehmen an dem Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft der Kulturstiftung des Bundes teil, durch das wir neue Impulse bekommen haben, mit verschiedenen Zielgruppen zu arbeiten. Wir arbeiten stärker daran mit, schon die Ausstellungen selbst für viele unterschiedliche Zielgruppen zugänglich zu machen – interaktiv und inklusiv, unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Fokusgruppen. Und auch die Programme selbst entstehen häufiger gemeinsam mit bestimmten Zielgruppen. Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Outreach-Projekte des Hygiene-Museums.

Bildung und Vermittlung als abteilungsübergreifende Aufgabe

Wie ist das Deutsche Hygiene-Museum Dresden im Bereich Bildung und Vermittlung aufgestellt, um diese Fülle und Breite an Aktivitäten umzusetzen?

Carola Rupprecht: Unsere Abteilung besteht aus neun Personen, darunter eine FSJlerin und zwei Mitarbeiter:innen im Besucherservice. Unser Engagement in den Bereichen Outreach, Diversitätsorientierung und zum Teil auch Inklusion ist nur aufgrund zusätzlicher Förderungen und Drittmittel möglich, durch die wir zumindest temporär entsprechende Stellen schaffen können. Grundsätzlich sind Bildung und Vermittlung aber auch viel stärker zum Gegenstand abteilungsübergreifenden Arbeitens geworden. Unser Bereich arbeitet daher eng mit den Kurator:innenteams im Haus zusammen. Auch auf Leitungsebene wird die Bedeutung der Vermittlung seit Langem anerkannt. Wir gehen davon aus, dass die Vermittlung nicht erst anfängt, wenn eine Ausstellung steht, sondern, dass das Format Ausstellung bereits Teil kultureller Bildung ist.

Was bedeutet das konkret in der Praxis?

Carola Rupprecht: Wir versuchen die Frage, wie eine besucher:innenorientierte Ausstellung aussieht, sowohl auf theoretischer Ebene als auch aufgrund der Ergebnisse unseres monatlichen Besucher:innenmonitorings so gut wie möglich zu beantworten und dies in den Prozess des Ausstellungsmachens einfließen zu lassen. Wie sehr uns das im Einzelnen gelingt, hängt auch von Zeit- und Budgetressourcen ab; wir sind noch nicht am Ideal angekommen. Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit den Kurator:innenteams daran, unsere Sonderausstellungen inklusiv zu gestalten, durch haptische und interaktive Elemente oder Hörtexte, die den Zugang zu einem Thema erleichtern.

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden beschäftigt sich mit verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlich relevanten Themen, von Künstlicher Intelligenz bis zu Future Food. Welche Rolle spielt hierbei die kulturelle Bildung?

Carola Rupprecht: Museen können an Themen heranführen, auch an solche, zu denen Berührungsängste bestehen, sie können Menschen für Themen interessieren und überraschende Perspektiven zeigen. Wenn uns das gelingt, dann schaffen wir es auch, die Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, dass sie ins Diskutieren kommen und Denkanstöße mitnehmen. Um das zu bewirken, arbeiten wir mit Kooperationspartner:innen aus der politischen Bildung, aus der Theaterpädagogik, aus der Kunstpädagogik oder dem globalen Lernen.

Was kann die Verknüpfung von kultureller Bildung mit anderen Bildungsbereichen wie Bildung für nachhaltige Entwicklung oder mit politischer Bildung bewirken?

Carola Rupprecht: Das große Potenzial von Museen besteht darin, Perspektiven zu öffnen, Interesse zu wecken, Menschen ins Agieren zu bringen – und, dass all das mit Spaß und einem relativ leichten Einstieg in die Themen gelingt: Eine Ausstellung wird eher besucht, als dass man sich für ein Seminar für politische Bildung anmeldet. Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit Bildung für nachhaltige Entwicklung uns Museen dabei hilft, sich danach zu befragen, wie wir an Themen anknüpfen können, die für unsere Gesellschaft gerade wichtig sind. Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Bildungsbereichen können wir aktuelle Perspektiven gewinnen, die wiederum für Besucher:innen interessant sind.

Gesprächsangebote machen, Zivilgesellschaft stärken

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden wird im Rahmen des Projekts „Museum als aktive Orte der Demokratie“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Wie können Museen zur Demokratiebildung beitragen?

Carola Rupprecht: Diese Frage diskutieren wir intensiv, sowohl im Rahmen der Ausstellung „Fake. Die ganze Wahrheit“ als auch mit Blick auf unsere Veranstaltungen und Outreach-Projekte, die jeweils in diesem Programm gefördert werden. Museen können zu demokratischen Kompetenzen wie zuhören können, andere Perspektiven wahrzunehmen und anzuerkennen, beitragen, wenn sie Menschen zu bestimmten Themen ins Gespräch bringen: in der „Fake“-Ausstellung etwa zu Vertrauen in die Medien oder Politik. Es geht dabei nicht darum, Menschen von bestimmten Haltungen zu überzeugen, sondern die Zivilgesellschaft zu stärken und Themen zu setzen, über die wir sprechen sollten. Museen können dazu beitragen, ein Gesprächsangebot zu machen und auch einen Wertehorizont vermittleln.

Die Vermittlung ist laut Ihrer Website traditionell ein wichtiger Eckpfeiler des Deutschen Hygiene-Museums Dresden. Wie gelingt es Ihnen, dass Bildung und Vermittlung eine so große Rolle spielen?

Carola Rupprecht: Vielleicht beschäftigen wir uns im Vergleich zu anderen besonders intensiv mit der Frage, warum Besucher:innen zu uns kommen könnten: Was ist überhaupt interessant, was ist relevant für andere? Zugleich suchen wir Themen, die wir für gesellschaftlich relevant halten, entsprechend unserer Leitfrage „Wie wollen wir gemeinsam leben?“ Und damit wird auch die Vermittlung wichtig. Außerdem wird dadurch klar, dass wir verschiedene Angebote machen müssen, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen. Wir haben ein Kindermuseum, wir haben eine Dauerausstellung, wir machen Sonderausstellungen und haben ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm. Die Frage, wie wir es schaffen können, unsere Themen in die Welt zu bringen, ist sowohl für den Ausstellungsbereich als auch für die Vermittlung wichtig und gehört zum Selbstverständnis unseres Hauses.

Gemeinsam Formate entwickeln

Wie hat sich das Verständnis der Zielgruppen für Bildung und Vermittlung in Ihrem Haus entwickelt? Welche Vorhaben gibt es noch in dem Bereich?

Carola Rupprecht: Kinder und Jugendliche, Schulen und Familien sind und bleiben wichtige Zielgruppen. Außerdem würden wir gern noch viel mehr für ältere Menschen anbieten und mit unterschiedlichen migrantischen Communitys zusammenarbeiten. Eine wichtige Maßnahme für die Erweiterung der Zielgruppen sind unsere Outreach-Projekte. Aus unseren Befragungen wissen wir, dass unsere Besucher:innen aus dem sächsischen Umland meist ins Kindermuseum kommen, weniger in unsere Ausstellungen. Wir fragten uns also, was zu tun ist, um die Ausstellungen für sie interessanter zu machen und wollten die Menschen und ihre Interessen besser kennenlernen. Mit den Outreach-Projekten waren wir ein Jahr lang in Hoyerswerda und haben dort mit zehn lokalen Partner:innen ein Programm entwickelt. Dabei haben wir erkannt, dass es nicht nur darum geht, neue Zielgruppen für unser Museum zu gewinnen, sondern mit den Menschen vor Ort Formate zu entwickeln, die ein Stück weit unsere Handschrift tragen, aber auch ein Impuls für die Institutionen vor Ort sind.

Was wird in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit von Museen zukünftig wichtig sein?

Carola Rupprecht: Aus verschiedenen Befragungen inklusive unserer eigenen wissen wir, dass sich die Besucher:innenstruktur seit der Corona-Pandemie verändert hat: Zwar kommen die Besucher:innen wieder vermehrt in die Häuser, aber ihr Bildungsdurchschnitt ist im Vergleich zu früher gestiegen. Wir fragen uns, wie es uns gelingen kann, die Kulturinstitutionen ambitioniert weiterzuentwickeln und dabei ein möglichst breites Publikum mitzunehmen. Diese Herausforderung wird uns sicher weiterhin beschäftigen.