Saarländische Schulen möchten mehr Tanzprojekte umsetzen
Die Landesarbeitsgemeinschaft Tanz im Saarland (LAG Tanz) setzt Tanzprojekte und Bildungsmaßnahmen an Schulen um. Der großen Nachfrage an den Schulen begegnet die LAG Tanz unter anderem durch die Ausbildung von Schüler:innen zu Tanzmentor:innen, die Tanz-AGs an den Schulen anbieten. So können mehr Schulen von dem „Schatz“ profitieren, der Tanz etwa für den Ausgleich von pandemiebedingten Entwicklungsrückständen bei Kindern und Jugendlichen bedeutet.
Seraina Stoffel ist künstlerische Leiterin und Teil des Vorstands der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz im Saarland (LAG Tanz). Die Tanzpädagogin und Choreografin ist zudem für die Konzeption vieler Tanzprojekte in der kulturellen Bildung verantwortlich. So etwa für das während des Lockdowns 2021 entstandene Projekt „Flexi.Motus“, das gegenwärtig am häufigsten von den Schulen des Saarlandes angefragt wird. Dabei handelt es sich um ein flexibles Format für Tanz und Sprache, welches die Umsetzung online, in Präsenz oder als Mischform ermöglicht. Im Landeswettbewerb „Perform deine Heimat“ hat sie die künstlerische Leitung inne.
Claudia Gutapfel begann mit Mitte dreißig zu tanzen und verstand schnell, welches Potenzial für die persönliche Entfaltung im Tanz steckt. Sie engagiert sich deshalb in künstlerisch-edukativen Tanzprojekten. Die ausgebildete Modedesignerin ist für die administrative Umsetzung von Projekten der kulturellen Bildung bei der LAG Tanz zuständig.
Bitte stellen Sie die Angebote der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz im Bereich kulturelle Bildung vor.
Claudia Gutapfel: Wir bieten Projekte und Bildungsmaßnahmen an Schulen an, etwa die Mentor:innenausbildung, die wir in Kooperation mit dem saarländischen Kultusministerium und dem saarländischen Staatstheater durchführen. Pro Jahr bilden wir 15 bis 20 Schüler:innen aus, die an die Schulen gehen und dort Tanz-AGs anbieten. Zum Teil gehen sie auch mit in den Unterricht und bieten dort Tanzangebote an. Diese Ausbildung ist ein Leuchtturmprojekt in der kulturellen Bildung und bundesweit einzigartig. Daneben verantworten wir Tanzprojekte an Schulen, die künstlerisch anspruchsvoll und interdisziplinär aufgebaut sind. Daran sind Tanzpädagog:innen, Choreograf:innen und Tänzer:innen beteiligt, aber auch Bühnenbildner:innen und Musiker:innen. Die Sparten Ton, Film und Fotografie sind ebenso vertreten, also unser gesamtes künstlerisches Netzwerk hier im Land. Daraus entstehen interessante Projekte, die oftmals auch auf den großen Bühnen gezeigt werden. Zudem hat sich unser Team zum Thema Inklusion weitergebildet, um sich fit für die Arbeit unter anderem mit Förderschulen zu machen. Wir legen viel Wert darauf, dass unsere Dozent:innen in diesem Themengebiet Kompetenzen aufweisen.
Das Potenzial von Tanz für den Ausgleich pandemiebedingter Entwicklungsrückstände
Welchen Stellenwert nimmt der Tanz in der kulturellen Bildung des Saarlands ein?
Claudia Gutapfel: Durch unsere Beteiligung am Landesprogramm „Kreative Praxis“ können wir viele Tanzprojekte umsetzen. Wir stehen in stetigem Kontakt mit dem Kultusministerium und der Abteilung für kulturelle Bildung im Landesinstitut für Pädagogik und Medien – es besteht eine lebhafte und intensive Zusammenarbeit. Dem Tanz wird also ein hoher Stellenwert im landesweiten Angebot kultureller Bildung zugemessen.
Seraina Stoffel: Durch unsere Fachtage haben wir eine große Aufmerksamkeit für den Tanz generiert und das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig Tanzprojekte in der kulturellen Bildung sind. Denn gerade nach der Pandemie zeigt sich, dass die Kinder einen Rückstand in ihrer Entwicklung angesammelt haben. Tanzprojekte sind dementsprechend ein großer Schatz, um das aufzufangen.
Viele Ihrer Angebote richten sich an Schüler:innen: Was braucht es, damit mehr junge Menschen Zugang zu Tanzangeboten erhalten?
Claudia Gutapfel: Uns fehlen Tanzpädagog:innen, die wir in die Projekte einbinden können. Deswegen auch unser Engagement in der Mentor:innenausbildung, um schon früh die Schüler:innen dafür zu gewinnen, AGs an den Schulen anzuleiten.
Seraina Stoffel: Wir bekommen viele Anfragen von Schulen, können diese jedoch nicht alle bedienen, da wir zu wenig Personal haben. Woran es zudem fehlt, ist eine verstetigte Projektförderung. Bislang müssen wir jedes einzelne Projekt beantragen und abrechnen, was für uns ein großer Aufwand ist und fehlende Stabilität für langfristige Pläne bedeutet. Für 2023 sind wir in den Haushalt aufgenommen worden, benötigen aber eine höhere Förderung, um dem Bedarf gerecht zu werden.
Kultureller Austausch über unterschiedliche Tanztraditionen
Inwiefern werden unterschiedliche Tanztraditionen und Diversität in der Arbeit mit Schüler:innen aufgegriffen?
Seraina Stoffel: Wir arbeiten in den Projekten mit Mitteln aus dem zeitgenössischen Tanz, dies schließt Improvisation ein. Dadurch geben wir jedem Kind die Möglichkeit, sich auszudrücken, also eine eigene Bewegungssprache zu finden. Wir können so alle Niveaus berücksichtigen: von Tanzanfänger:innen bis hin zu denjenigen, die schon viel Erfahrung haben.
Claudia Gutapfel: Es geht beim Einstieg darum, dass die Kinder und Jugendlichen ihre eigene Bewegungs- und Tanzsprache finden. Wir gehen so vor, dass die Schüler:innen danach gefragt werden, was sie interessiert und dies mit einer Bewegung zu demonstrieren. Das kann Klavierspielen sein oder Fußball oder andere Freizeitaktivitäten. Zudem zeigen sich die Kinder gegenseitig kleine Tanzsequenzen aus den ihnen bekannten Tanzkulturen. In manchen Kulturen ist es ja so, dass der Tanz traditionell in der Familie und der Gesellschaft stärker ausgelebt wird. Es geht also auch um diesen kulturellen Austausch.
Seraina Stoffel: In manchen Projekten werden Themen von uns vorgegeben. Etwa in dem Projekt „PRMTHS 2020“, das sich um die mythologische Figur Prometheus drehte. Da ging es um grundsätzliche Fragen, die wir aus dem mythologischen Stoff abgeleitet haben: Was macht den Menschen aus? Was sind Gefühle? Die Kinder haben sich darauf eingelassen und zum Teil sehr persönliche Ansätze erarbeitet. In diesem Projekt gab es übrigens schon eine gelungene Zusammenarbeit mit der Landesakademie für musisch-kulturelle Bildung. Das haben wir in einem anderen Projekt, „Perform deine Heimat“, fortgesetzt.
Künstlerisch zusammenfügen, was zusammengehört
Lassen Sie uns über dieses Projekt sprechen. Im Landeswettbewerb „Perform deine Heimat“ performen Kinder und Jugendliche mit Mitteln aus Tanz und Musik an einem für sie kulturell bedeutenden Ort. Das Ganze wird filmisch dokumentiert und Teil eines landesweiten Wettbewerbs. Was ist für Sie das Besondere an diesem Projekt?
Seraina Stoffel: Für mich ist die Verbindung der Sparten Tanz und Musik das Besondere. Meist werden diese Künste einzeln erlernt und aufgeführt. Orte werden oft nicht besonders berücksichtigt bei Tanz- und Musikprojekten. In dem Landeswettbewerb bringen wir drei Aspekte künstlerischer Produktion zusammen, die oftmals natürlich zusammengehören und hier aber gewünscht miteinander interagieren. Das ist für mich besonders.
Was beobachten Sie bei der Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit den Orten?
Seraina Stoffel: Die Gruppen können sich selbstständig für einen Ort entscheiden und wir mussten bei dieser Suche bisher nie unterstützen. Ich beobachte, dass sie selbstständig Orte wählen, die für sie wichtig sind. Diese können sehr unterschiedlich sein. Eine Grundschule hat zum Beispiel in Erwägung gezogen, einen Spielplatz auszuwählen, weil die Kinder dort viel Zeit verbringen. Diese Wahl würde absolut passen, da ein Spielplatz für die Kinder ein kulturell bedeutsamer Ort ist. Ein Bahnhof wurde von einer anderen Gruppe gewählt, weil er für sie wichtig ist. Es werden aber auch Orte ausgesucht, die an sich touristisch und kulturell von Bedeutung sind. Dadurch, dass die Kinder und Jugendlichen die Orte betanzen und musikalisch beleben, entsteht eine intensivere Beziehung zum Ort. Meist beteiligen sich dann auch die Verantwortlichen für diesen Ort, etwa aus der Stadt oder Gemeinde, an den Performances und dem vorausgehenden Prozess, weil sie stolz darauf sind, was dort passiert. Hier entsteht also eine Wechselwirkung, die sich insgesamt positiv auf die Beziehung zu den Orten auswirkt.
Bedarfsorientierte Vermittlung kultureller Bildung an Schulen
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der kulturellen Bildung?
Seraina Stoffel: Die Akzeptanz und die Bedeutung der kulturellen Bildung ist vorhanden und allen klar. Das ist eine gute Entwicklung. Allerdings fehlt es an einer nachhaltig gesicherten Förderung für die kulturelle Bildung. Wir brauchen diese Mittel, um uns nicht länger verausgaben zu müssen mit der administrativen Abwicklung einzelner kleiner Projektförderungen.
Claudia Gutapfel: Viele Schulen sind überfordert, wenn sie zusätzliche Anträge stellen müssen für die Umsetzung von Projekten. Ich wünsche mir, dass diese Rolle zukünftig die LAG Tanz einnehmen könnte, um diesbezüglich eine Entlastung zu schaffen.
Seraina Stoffel: Ich würde mir zudem wünschen, dass an den Schulen eine Koordinierungsstelle für kulturelle Bildung eingerichtet wird. Das sollte nicht durch eine Lehrkraft besetzt werden, sondern mit einer Person von außen, die künstlerisch versiert und gut vernetzt in der Kunst- und Kulturszene ist. Mir ist die Professionalität in den Angeboten an Schulen wichtig: Tanzangebote sollten etwa nicht von Sportlehrer:innen angeboten werden, sondern von Tänzer:innen und Tanzpädagog:innen. Diese Koordinationsstelle könnte Angebote an die Schule vermitteln und dabei auch die schulischen Bedarfe, etwa Sprachförderung, berücksichtigen.