Kita-Kinder brauchen einen Dritten Ort, um die Vielzahl an Möglichkeiten kennenzulernen
Seit vielen Jahren können sich Kita-Kinder in der Kunstwerkstatt Bad Kreuznach in verschiedenen Kunstsparten und Kulturtechniken ausprobieren. Sie bekommen die notwendigen Techniken und Materialien an die Hand. Das Ergebnis ist dabei immer offen gehalten – die überwiegend selbstbestimmte Erfahrung der Kinder steht im Mittelpunkt des Projekts.
Renate Ziegler ist Leiterin der Kunstwerkstatt in Bad Kreuznach, die sie 2008 zusammen mit anderen Frauen gegründet hat. Sie leitet die Einrichtung und ist damit für vieles zuständig, unter anderem die Recherche neuer Fördermöglichkeiten für ihre Projekte. Sie hat das Projekt „Kita-Kunst-Karussell“ 2003 initiiert, das 2019 mit dem "MIXED UP"-Preis der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) ausgezeichnet wurde.
In dem Projekt „Kita-Kunst-Karussell“ konnten sich Kita-Kinder im Vorschulalter jährlich in vier verschiedenen Kunstwerkstätten kreativ ausprobieren. Sie lernten dort verschiedene Kunstparten kennen, etwa Medien und Tanz, oder probierten Handwerktechniken aus. Das Projekt wird nun intern evaluiert und qualitativ weiterentwickelt. Das Nachfolgeprojekt „Kita-Kunst-Kreisel“ soll bald starten. Was genau passierte in den Kunstwerkstätten?
Renate Ziegler: Unsere Kursleiter:innen zeigten den Kindern zunächst, wie die Technik funktioniert. Beim Trickfilm zum Beispiel erklärte die Medienpädagogin anhand eines Daumenkinos, dass der Film aus einzelnen Bildern besteht und dass damit eine Geschichte erzählt wird. Dann wurden die Kinder gefragt: „Was für einen Film möchtet ihr machen?“ Und daraus entstanden ganz unterschiedliche Themen. Eine Kita hat zum Beispiel einen Trickfilm zu einem Piraten auf dem Jahrmarkt gemacht. Die Geschichte haben sie sich selbst ausgedacht und auf dem Jahrmarkt spielen lassen, weil das hier vor Ort eigentlich die sechste Jahreszeit nach dem Fasching ist, also unglaublich wichtig für alle hier. Dann haben die Kinder die Bilder und die Hintergründe gemalt, die Figuren wurden angefertigt und durch Musterklammern beweglich gemacht. Die Kinder fotografieren diese Bilder dann auch selber und sprechen die Geschichte ein. Die Kursleiterin fügt ganz zum Schluss dann alles zusammen. In diesem Vorgehen wird also viel vom Kind her gedacht: Sie bringen ihre eigenen Themen ein und schaffen selber ein kleines Kunstwerk. Diesen Aspekt werden wir in dem Folgeprojekt „Kita-Kunst-Kreisel“ noch stärker verfolgen, da es uns sehr wichtig und richtig erscheint.
Interessengeleitete Kreativangebote für Kita-Kinder
Lassen Sie uns über die Weiterentwicklung des Projekts sprechen: Was haben Sie im Projektkonzept verändert?
Renate Ziegler: Wir werden einen noch stärkeren Fokus auf die Interessen der Kinder legen. Wir möchten ihnen vorstellen, was es hier in der Kunstwerkstatt für ein Angebot für sie gibt und ihnen dann die Möglichkeit geben, unsere Einrichtung zu erkunden und mit den Materialien, die sie hier finden, zu arbeiten. Sie bekommen Anregungen und können dann eigenständig arbeiten, ohne die Richtung oder das Ziel vorgegeben zu bekommen. Wir möchten den Kindern also eine freiere Wahl dessen, was sie hier erleben wollen, ermöglichen. Wir möchten dabei auch die Erzieher:innen der Kitas stärker einbinden.
Seit Beginn des Projekts haben mehr als 800 Kinder an dem Projekt teilgenommen. Treffen Sie einige dieser Kinder später in anderen Angeboten der Kunstwerkstatt wieder?
Renate Ziegler: Leider ist es nicht so, dass mehr Kinder aufgrund der Teilnahme am "Kita-Kunst-Karussell“ zu uns kommen. Das liegt daran, dass ein Großteil der Kitas, die an diesem Projekt teilnehmen, Kinder aus Familien betreuen, in denen Kunst und Kultur nicht selbstverständlich Teil der Freizeitgestaltung sind. Dadurch sind kaum Berührungspunkte zu unserer Einrichtung vorhanden und wir sehen dann eher die Kinder wieder, deren Familie mit ihnen eh schon Kulturveranstaltungen und ähnliches besuchen. Mein größter Wunsch ist es, wir könnten dieses Projekt in der Grundschule weiterführen, um mehr Kinder nachhaltig von unserem Angebot profitieren zu lassen. Derzeit ist es leider so, dass es für ein Jahr das Highlight ist und dann ist das Projekt beendet. Allerdings ist die Kunstwerkstatt für viele junge Menschen über die Jahre ein wichtiger Ort geworden und viele haben hier eine Heimat gefunden. Sie beschreiben es als einen offenen Ort, an dem sich alle willkommen fühlen, egal ob queer oder mit Fluchtbiografie oder anderen Dingen. Und das freut mich sehr, weil wir als Team immer so einen Ort schaffen wollten.
Dritte Orte bieten Anregungen zur freien Entfaltung
Sie bezeichnen die Kunstwerkstatt als Dritten Ort. Können Sie erläutern, was Sie darunter verstehen?
Renate Ziegler: Wir bezeichnen uns als Dritten Ort, weil es uns wichtig ist, dass es einen Ort neben Schule und Elternhaus gibt, an dem Kinder neue Menschen aus anderen Zusammenhängen treffen. Hier kommen Kinder aus unterschiedlichen Schularten zusammen und inzwischen bringen wir in unseren Angeboten auch Erwachsene und Kinder zusammen. Dabei profitieren auch die Erwachsenen von den Kindern, weil die sehr frei sind in ihrem Handeln und noch nicht eine ausgeprägte Erwartungshaltung an sich selbst haben wie die großen Menschen. Und im Gegensatz zu dem, wie es in der Schule läuft, gibt es hier kein Richtig und Falsch im künstlerischen Prozess. Ganz im Gegenteil – wir möchten viele Möglichkeiten zur freien Entfaltung für die Kinder bieten.
Ich halte den Dritten Ort für ungemein wichtig und mache mir große Sorgen bezüglich der Einführung der Ganztagsschule hier. Ich fürchte, die Kinder haben dann nicht mehr so viel Zeit, um zu uns zu kommen. Dabei profitieren sie auch von dem Ortswechsel, weil es auch zu ihrer Selbstständigkeit beiträgt, wenn sie zu uns kommen. Ich hoffe, durch Kooperationen mit den Schulen können wir ihnen das weiterhin ermöglichen.
Kulturelle Bildung heißt Möglichkeiten aufzeigen
Warum ist es Ihres Erachtens so wichtig, mehr kulturelle Bildung für Kita-Kinder anzubieten?
Renate Ziegler: Kinder sollten schon in ganz jungen Jahren an Dinge herangeführt werden, die uns wichtig sind. Dadurch wird ein kleiner Samen gesät, ohne zu wissen, was daraus tatsächlich entstehen wird. Gerade die kleinen Kinder sollten sehen, was alles möglich ist. Dabei ist Kultur, wie wir sie hier zeigen, auch nur ein Ausschnitt aus vielen anderen Möglichkeiten, und mit dem „Kita-Kunst-Kreisel“ wollen wir ebendiesen Ausschnitt möglichst groß machen. Wir zeigen den Kindern zum Beispiel auch andere Kultureinrichtungen, wie das Museum für Puppentheaterkultur, in der Hoffnung, dass die Kinder und ihre Familien dort auch später noch hingehen werden. Wir bieten in der Kunstwerkstatt Kreativnachmittage an, die kaum etwas kosten. Die Kinder haben durch die Teilnahme am Projekt den Weg hierhin gelernt und können, so hoffen wir, im Anschluss weiterführende Angebote wahrnehmen. Es geht eben darum, ihnen durch das Kooperationsprojekt mit den Kitas erst einmal diese Möglichkeiten nahezubringen.
Was sollten sich andere Praktiker:innen der kulturellen Bildung von diesem Projekt abschauen?
Renate Ziegler: Sich die Freiheit zu nehmen, die Form des Ergebnisses zunächst offen zu halten. Ich komme noch mal zurück zu unserer Werkstatt Trickfilm. Eigentlich soll am Ende ein Film entstehen, aber manchmal entwickeln die Kinder Ideen, die sich dann eher dazu eignen, nur kleine Sequenzen zu erarbeiten. Unsere Kursleiterin bietet immer die Möglichkeit, dass etwas anderes entstehen kann als ein fertiger Film. Und diese Offenheit ist wichtig. Die Kinder bekommen von uns neue Techniken vermittelt und sie können diese so anwenden, wie sie es gerne möchten. Sie können das ausprobieren, was sie mögen. Wir haben hier die Chance, nicht vom Ergebnis her denken zu müssen. Der Weg dahin und die Erfahrung, die die Kinder dabei machen, sind das Ziel. Wenn es am Ende etwas gibt, das wir ausstellen können, dann tun wir das auch. Manchmal stehen dann die Betrachter:innen verwirrt davor, weil alle Farben zusammengemischt sind. Das Kind hat es genossen und wir haben dann auch den Mut, das auszustellen.