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Praxisinterview Hamburg

Batteln gehört zum Handwerk

Vom Breaken zum Beatproducing, von Billstedt bis Blankenese: Die HipHop Academy Hamburg fördert an 34 Standorten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dabei, tief in die Hip-Hop-Kultur einzutauchen und sich individuell künstlerisch und persönlich weiterzuentwickeln.

Dörte Inselmann ist eine echte Institution in der Hamburger Soziokultur. Anfang der 1980er-Jahre war die studierte Sozialpädagogin und Kulturmanagerin an der Gründung des Kulturpalasts in Hamburg-Billstedt beteiligt, dessen Intendantin und Vorstand sie heute ist, und baute das soziokulturelle Zentrum zu einer Kulturstiftung, stadtteilübergreifenden Anlaufstelle für kulturelle Bildung und einer der beliebtesten Bühnen Hamburgs aus. Mit der HipHop Academy Hamburg hat die Stiftung Kulturpalast Hamburg ein in Deutschland einzigartiges Angebot geschaffen: Junge Talente können sich seit 2007, angeleitet von Profis, in sechs Genres der Hip-Hop-Kultur – Tanz, Breakdance, Graffiti, Vocal, Rap und Musikproduktion – ausprobieren und weiterentwickeln. Franklyn Kakyire gehört zu den ersten Teilnehmern des Programms und ist mittlerweile nicht nur erfolgreicher Hip-Hop-Dance-Künstler, sondern trainiert auch seit 2010 die neuen Generationen der HipHop Academy Hamburg.

Was lernen Kinder und Jugendliche an der HipHop Academy Hamburg und was ist das Besondere an dem Projekt?

Franklyn Kakyire: Hier können Kids die Hip-Hop-Kultur in ihren verschiedenen Bereichen kennenlernen und sich darin austauschen. Sie haben die Möglichkeit, mit Künstler:innen vor Ort oder auch international zu arbeiten und mit ihnen eine Theaterproduktion zu kreieren und auf großer Bühne zu performen. Damit ist die HipHop Academy Hamburg in Deutschland, vielleicht sogar europaweit, einmalig.

Dörte Inselmann: Das Besondere ist auch, dass wir die Students lange begleiten, wenn sie das wollen. Wir fördern Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 25 Jahren. Auch später wirken Ehemalige oft als Trainer:innen oder an unseren Jams und Produktionen mit.

Manche Teilnehmer:innen wechseln im Laufe der Jahre das Genre, fangen als Breaker:in an und gehen dann zum Singen oder Produzieren über. Das war am Anfang nicht geplant, ist aber völlig in Ordnung. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, sich im Leben umzuentscheiden, und so entsteht eine breite Qualifikation.

Sie arbeiten in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs. Wie kam die Idee, die Trainings dezentral in Schulen und Jugendzentren zu veranstalten?

Dörte Inselmann: Die HipHop Academy Hamburg war von Anfang an landesweit geplant. Die Idee war, dass wir in benachteiligten Gebieten Hamburgs, aber auch im Zentrum und Westen der Stadt Angebote schaffen, um so eine nachhaltige Förderung im Bereich Hip-Hop vor Ort für Kids und Jugendliche aufzubauen. Dabei arbeiten wir sehr oft mit Schulen und Jugendeinrichtungen zusammen, die über Räume, Ressourcen und Know-how verfügen.

Die Komfortzone verlassen, andere Stadtteile kennenlernen

Ist es dadurch gelungen, dass es mehr Austausch zwischen Teilnehmer:innen aus verschiedenen Stadtteilen gibt?

Dörte Inselmann: Absolut. Durch die Verbindung von dezentralen Standorten und zentralen Orten (Kulturpalast) der Talentförderung und Veranstaltungen entsteht eine Durchmischung aller Students; Kinder und Jugendliche verlassen ihre Hood. Es ist unsere Idee, dass sie sich aus der Komfortzone herausbewegen, ihren Horizont öffnen und Gemeinschaft, aber auch Heimat neu erleben und definieren können.

Franklyn Kakyire: Mittlerweile hat die Institution solche Wellen geschlagen, dass wir Teilnehmer:innen aus ganz Hamburg und darüber hinaus anziehen. Billstedt ist heute eine der größten Anlaufstellen für Kunstschaffende in der Hip-Hop-Kultur.

Sie engagieren die „Besten der Besten“ als Trainer:innen in den verschiedenen Genres. Mit welcher Motivation kommen diese Künstler:innen zu Ihnen?

Dörte Inselmann: Wir haben gezielt danach geschaut, renommierte Tänzer:innen, Musikproduzent:innen und Rapper:innen zu gewinnen, um unser Niveau hoch zu halten und stetig weiterzuentwickeln. Die Künstler:innen kommen gerne hierher, weil sie wissen, dass ihre Kultur und Kunst wertgeschätzt wird. So haben wir ein Netzwerk an Dozent:innen aufgebaut, das seinesgleichen sucht.

Franklyn Kakyire: Einige Anbieter:innen, die sich „Hip-Hop“ auf die Fahne schreiben, haben wenig Ahnung von der Kultur. Künstler:innen, die den Hip-Hop-Spirit verkörpern, merken, dass sie bei uns an der richtigen Stelle sind, und das spricht sich herum.

Herr Kakyire, Sie sind seit den ersten Tagen Teil der HipHop Academy Hamburg. Was haben Sie damals als Schüler gelernt, was Sie bis heute prägt?

Franklyn Kakyire: Besonders beeindruckt hat mich die Gemeinschaft. Ich war vorher autodidaktisch unterwegs, weil mir nicht bewusst war, wie groß die Szene ist. An der HipHop Academy Hamburg gab es dann die Möglichkeit, mit Künstler:innen wie Storm, der eine B-Boy-Ikone in der Breakdance-Szene ist, in den Austausch zu kommen. Das hat meine Denkweise zu Hip-Hop als Kunstform verändert.

Aus dem Weitergegebenen etwas Neues entwickeln

Was macht Ihnen Freude daran, als Trainer selbst zu vermitteln?

Franklyn Kakyire: In der Hip-Hop-Kultur bleibt man sein Leben lang Schüler:in. Sobald man vergisst, dass man nie auslernt, hat man verloren. Das gebe ich auch meinen Schüler:innen mit. Das, was mir beigebracht worden ist, an die nächste Generation weiterzutragen und zu sehen, wie sich daraus etwas Neues entwickelt: Das bringt mir in meinem Job am meisten Spaß.

Die HipHop Academy Hamburg kooperiert mit vielen Kultureinrichtungen landesweit. Wie profitieren diese von Ihnen und umgekehrt?

Franklyn Kakyire: Über die letzten Jahre ist es schon zu spüren, dass die Hochkultur die Hip-Hop-Kultur nicht mehr als kleines Jugendprojekt ansehen kann, weil wir mittlerweile auf den großen Bühnen spielen und Kooperationen hatten wie mit dem Ensemble Resonanz oder dem Hamburg Ballett John Neumeier.

Dörte Inselmann: Es tut der Hip-Hop-Kultur und ihren Künstler:innen gut, sich weiterzuentwickeln und auch große Theater zu bespielen. Für das Theater hat es den Vorteil, dass ihre Klassiker neu gedacht werden können und dass sie mit Hip-Hop Zielgruppen erreichen, die dem Theater vielleicht verloren gegangen sind.

Warum ist Hip-Hop als Kunstform prädestiniert für kulturelle Bildung und wie würden Sie für mehr Hip-Hop in der kulturellen Bildung plädieren?

Dörte Inselmann: Zum einen ist Hip-Hop eine weltweit akzeptierte Kulturform, die in benachteiligten Gebieten von jungen Menschen jeglicher Herkunft selbst gestaltet und geschaffen wurde. Sie erreicht daher auch Kinder aus sozial armen Gebieten. Hip-Hop braucht auch keine Voraussetzungen; alle können sofort mitgestalten, es ist eine gemeinschaftsstiftende Kultur. Außerdem arbeitet Hip-Hop heraus, was in jedem Einzelnen steckt und kann vieles sichtbar machen: ein Sprachrohr, eine Generation, politische Aussagen, neue Tanzstile. Die Werte – unter anderem Offenheit, Respekt, Gleichheit – verbinden zur Gemeinschaft (Peace, Love, Unity) und jeder bekommt von der Gruppe Applaus. Wenn wir das viel mehr in der kulturellen Bildung einsetzen würden, könnten wir zum Empowerment einer jungen Generation beitragen, die sich selbst besser versteht und ernst genommen würde.

Franklyn Kakyire: Hip-Hop kann mit anderen Sparten fusionieren. Ich habe ein Stück entwickelt, das ich zu klassischer Musik tanze – das ist eigentlich nicht mehr Hip-Hop und andererseits schon, weil diese Variabilität Hip-Hop ausmacht: Dinge neu beleben – wie beim Sampeln, wenn man aus vorgefundenen Sounds einen neuen Beat kreiert.

Dörte Inselmann: Auch das Leistungselement, mit Battles und Wettkämpfen, ist wichtig für Kids und Jugendliche, weil es sie fordert und anspornt, sich weiterzuentwickeln.

So schnell wie möglich auf die Bühne

Warum ist das Leistungsprinzip, das von manchen durchaus kritisiert wird, wichtig für Ihre Arbeit?

Dörte Inselmann: Vor allem vonseiten der Jugendpädagogik wurden wir anfangs hart für den Leistungsgedanken kritisiert. Es wäre aber falsch gewesen, auf das Batteln, den Wettkampf, zu verzichten, denn es ist ein Teil der Kultur, den wir nicht erfunden haben. Und die Kids fiebern darauf hin, denn sie bekommen im Allgemeinen viel zu wenig Applaus für ihre Leistung. Daher ist es für uns wichtig, dass sie so schnell wie möglich auf die Bühne kommen. Genauso gilt: Niemand wird ausgelacht, alle gehören dazu und zollen sich gegenseitig Respekt. Und es macht gar nichts, wenn es mal danebengeht.

Welche Rolle spielt dabei die Persönlichkeitsentwicklung?

Dörte Inselmann: Manche Kids, die gar nicht wissen, wohin mit ihrer Energie, werden bei uns zu großartigen Künstler:innen; andere, die ihre Lippen nicht auseinanderbekommen, fangen an zu rappen. Ich glaube, das Empowern von Potenzial passiert hier in einem sehr guten Rahmen. Einerseits stellen wir klare Erwartungen an die Teilnehmer:innen. Andererseits haben sie die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen und Style zu finden. Und das ist ausdrücklich erlaubt und das, was wir wollen: Ich kann nur meinen eigenen Style entwickeln, wenn die Persönlichkeit es mitmacht.

Franklyn Kakyire: Individualität ist ein wichtiger Bestandteil für die Persönlichkeitsentwicklung. Als Trainer ist es mir wichtig, dass die Kids mitdenken und ihre Ideen einbringen, sodass sie am Ende auf der Bühne stehen und sagen können: Das ist meine Choreo, die ich mitentwickelt habe. Diese Form von Eigenkreation und Eigeninitiative findet man anderswo selten.

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