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Neue Wege gehen, damit kulturelle Teilhabe gelingen kann

Kulturelle Bildung in Baden-Württemberg

Keine Angst vor Veränderungen: Der Kultur- und Medienstandort Baden-Württemberg zeigt sich proaktiv, wenn es darum geht, neue Wege in der kulturellen Bildung zu gehen. Davon zeugen verschiedene Initiativen im Land, die sich für die Entwicklung von Kultureinrichtungen als lernende Organisationen, für Schulen als Kulturorte und für verlässliche Strukturen kultureller Teilhabe abseits der großen Städte und Metropolregionen einsetzen.

Kinderconsultants als Kunstprojekt: Partizipatives Kinder- und Jugendtheater am JES

Über 8.000 freie Stellen in Stuttgart verzeichnet die Agentur für Arbeit Ende September 2022, einen Rückgang in der ohnehin geringen Arbeitslosenquote und insgesamt eine stabile Arbeitsmarktlage. So weit, so gut und erwartbar in der Hauptstadt des wirtschaftsstarken Landes Baden-Württemberg. Aber was macht Arbeit eigentlich aus? Muss sie anstrengend sein? Spaß machen? Oder beides? Für Fragen rund um Arbeit, Geld, Zeit und Leben, auf die das Jobcenter nicht spezialisiert ist, steht seit dem 3. Oktober 2022 eine neue Einrichtung in der Stuttgarter Innenstadt zur Verfügung: die „Agentur für Kinderarbeit“.

Betrieben wird sie seit 2022 als künstlerisches Projekt von sieben jungen Menschen unter der Leitung von Frederic Lilje, dem stellvertretenden künstlerischen Leiter am Jungen Ensemble Stuttgart, kurz JES. Aus der Perspektive der teilnehmenden Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren wird hier ausgelotet, was passiert, wenn „Kinder einfach bei der Arbeitswelt mitmachen“. Vorbereitet haben sie sich darauf, indem sie zunächst eigene Arbeitsmarkterfahrungen sammelten: als Produkttester:innen im Naturkundemuseum, im Eiscafé oder als persönliche Guides für den Oberbürgermeister auf dem Kinderfest.

In der zweiten Phase des Projekts bieten sie nun in ihrem Pop-up-Büro, ausgestattet mit Besprechungstisch und Schaukel, der Erwachsenenwelt „gute Arbeitsangebote“. Gebucht werden können Arbeitskraft und selbst entwickelte Dienstleistungen der jungen Mitarbeiter:innen mit ihren jeweiligen Fachgebieten: bei dem siebenjährigen Valentin etwa, Spezialist für Lyrik und Design, zu einem Preis von 8 Euro (Lohnkosten: 7 Euro) eine selbst geschriebene Geschichte für Selbstabholer:innen.

Zusätzlich bieten die Kinder ihre erworbene Expertise zu den Themen „Arbeit, Zeit, Geld, Leben und Entscheidungen“ im Rahmen von Beratungsgesprächen für berufstätige Erwachsene an. Eine eigene Projektwebsite dokumentiert die Diskussion der Kinder zu ihren Arbeitsmarkterfahrungen: Ist es gut, dass Arbeit entlohnt wird? Gehört Arbeit zum Leben? Und, besonders heikel: Wie soll der von der Agentur eingenommene Betrag unter den Kindern aufgeteilt werden? Möglichst gerecht! Aber was bedeutet das genau?

Die „Agentur für Kinderarbeit“ steht exemplarisch für die Arbeitsweise des 2004 gegründeten Jungen Ensembles Stuttgart. Mit professionellen Theaterproduktionen für ein junges Publikum und partizipativen Theaterprojekten mit Kindern und Jugendlichen hat es sich zu einer über die Landesgrenzen hinaus bekannten und international vernetzten Institution für Kinder- und Jugendtheater entwickelt. Die vielfältigen Angebote kultureller Bildung richten sich an Kinder und Jugendliche verschiedener Altersgruppen, Schulen, Kitas und Pädagog:innen.

Transformationsprozesse für kulturelle Teilhabe

Ermöglicht wurde das Projekt „Agentur für Kinderarbeit“ durch ein Förderprogramm des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg. Das 2021 vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes gegründete Zentrum widmet sich schwerpunktmäßig einem Thema, das seit einigen Jahren zunehmende Aufmerksamkeit erhält: der Transformation des Kulturbetriebs. Auf diesem Weg werden die Kulturinstitutionen und -akteur:innen des Landes mit Förder-, Beratungs- und Qualifizierungsangeboten unterstützt. Die Leiterin des Zentrums für Kulturelle Teilhabe, Dr. Birte Werner, betonte anlässlich der Auftaktveranstaltung: „Kultureinrichtungen, die kulturelle Teilhabe für alle Menschen ermöglichen wollen, nehmen sowohl ihr Publikum als auch ihr Personal und ihr Programm in den Blick. Sie verstehen sich als lernende Organisationen.“

Dass sich Kultureinrichtungen verändern müssen, damit kulturelle Teilhabe gelingen kann, gehört zur Grundhaltung des Landes Baden-Württemberg. Seit 2018 ist kulturelle Bildungs- und Vermittlungsarbeit Schwerpunkt der Kulturpolitik. Als Beispiele können die beiden mit EU-Mitteln finanzierten Weiterbildungsangebote „Kunst- und Kultureinrichtungen als Lernende Organisationen“ (KuLO) an den Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe und Heidelberg sowie „KUBUZZ – Kultur Business Zukunft“ an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg genannt werden, die das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unterstützend begleitet. Wie solche Veränderungsprozesse auch außerhalb der großen Städte angestoßen werden können, zeigt die Initiative „Regionalmanager:in Kultur“, die durch das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ der Kulturstiftung des Bundes und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Rahmen des Modellvorhabens „Lernende Kulturregion Schwäbische Alb“ initiiert wurde und vom Land getragen wird. Das Pilotprojekt reagiert darauf, dass es in ländlichen Regionen trotz eines vielfach ausgeprägten kulturellen Lebens meist keine koordinierenden Stellen wie Kulturämter gibt. Um Kulturarbeit dennoch gestalten, vermitteln und steuern zu können, sind von 2021 bis 2023 Regionalmanager:innen in fünf Landkreisen und in der KulturRegion Karlsruhe unterwegs. Als Berater:innen, Netzwerker:innen und Begleiter:innen der regionalen Kulturentwicklung bringen sie auch die kulturelle Bildung in ländlichen Räumen Baden-Württembergs voran, indem sie Verbindungen zwischen den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales herstellen.

Kulturschule und Bildungspass: Schulische kulturelle Bildung in Baden-Württemberg

Damit die Transformation von Kultureinrichtungen zu Orten der Teilhabe für Kinder und Jugendliche gelingt, kann es helfen, aktiv auf diese zuzugehen und gezielt Anreize zu schaffen. Mit dem 2022 gestarteten „Bildungspass Kultur“ hat das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes gemeinsam mit dem Württembergischen Staatstheater Stuttgart, der Staatsgalerie Stuttgart und dem Kunstmuseum Stuttgart ein Pilotprojekt gestartet, das Schüler:innen ermutigen möchte, ihr individuelles Kulturinteresse weiterzuentwickeln und kulturelle Angebote ihren Präferenzen entsprechend wahrzunehmen. Mit dem Bildungspass Kultur nehmen zunächst bis zu 250 Schüler:innen im Verlauf des Schuljahres 2022/23 kostenfrei an vier von ihnen ausgewählten Kulturveranstaltungen einschließlich eines Vermittlungsangebots der drei Stuttgarter Institutionen teil. So sollen finanzielle Hindernisse kultureller Teilhabe abgebaut und die selbstständige Entscheidung für kulturelle Angebote gefördert werden.

Die Entwicklungsprozesse von Schulen, insbesondere in ihrer Rolle als Kulturorte, wird von dem 2015 von der Karl Schlecht Stiftung ins Leben gerufenen Programm „Kulturschule Baden-Württemberg“ in den Blick genommen. Das seit 2021 laufende Landesprogramm möchte kulturelle Bildung im Schulunterricht stärken und stellt ausgewählten „Kulturschulen“ für den Aufbau eines kulturellen Schulprofils ein jährliches Budget von bis zu 4.000 Euro zur Verfügung. Darüber hinaus können sich weitere Schulen in Baden-Württemberg, die punktuell schuleigene kulturelle Aktivitäten oder Kooperationen mit Künstler:innen oder Kulturinstitutionen durchführen möchten, für eine Förderung von bis zu 1.000 Euro bewerben. „Kulturschule Baden-Württemberg“ ist eines von 15 Länderprojekten bundesweit unter dem Dach der „Kreativpotentiale“, eines bis einschließlich 2022 gelaufenen Programms der Stiftung Mercator in Kooperation mit den zuständigen Landesministerien.

 

Medienkompetenz mit kultureller Bildung

Darüber hinaus kommt der kulturellen Bildung in Baden-Württemberg zugute, dass das Land nicht nur Kultur- und Wirtschaftsstandort ist, sondern auch bedeutender Medienstandort mit zahlreichen Verlagen, Medienunternehmen, Rundfunk- und Fernsehsendern.

So setzt sich die Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg, getragen von der Landesregierung zusammen mit der Landesanstalt für Kommunikation, dem Südwestdeutschen Rundfunk, dem Landesmedienzentrum und anderen Organisationen, dafür ein, die Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu stärken und öffentliche Aufmerksamkeit für Medienbildung zu schaffen.

Auch die Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Baden-Württemberg setzt mit ihren Angeboten zur kulturellen Bildung einen Schwerpunkt auf Medienkompetenz und -bildung. In Projekten wie „YourStory“, dem inklusiven Angebot „Hör- und Sehstücke“ oder „Radio im Klassenzimmer“ werden junge Teilnehmer:innen zu Produzent:innen von Audio- oder Videobeiträgen – und dazu ermutigt, mit künstlerischen und kreativen Mitteln Medienkonsum zu reflektieren. Auch hier wird zeitgemäße kulturelle Bildung sichtbar, die Veränderungsprozesse anstoßen will.

Portraitfoto von Antje Kochendörfer
Praxisinterview

Kulturelle Bildung vervielfältigt historische Bildung

Antje Kochendörfer und Thomas Stöckle bringen Kunst, Kultur und Geschichte miteinander in Verbindung und stärken durch Netzwerkarbeit Kultur und Bildung in ländlichen Räumen.
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