KI als Werkzeug
Interview mit
Dr. Christian Gries, Leiter der Abteilung Digitale Museumspraxis und IT am Landesmuseum Württemberg
August 2025
Dr. Christian Gries ist Kunsthistoriker und Medienentwickler. Er leitet seit 2020 die Abteilung Digitale Museumspraxis und IT am Landesmuseum Württemberg. Das Museum, 1862 gegründet, ist das größte kulturgeschichtliche Museum Baden-Württembergs mit Sitz im Alten Schloss in Stuttgart und widmet sich der Geschichte der Region von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart. Mit der Veröffentlichung von KI-Leitlinien im Jahr 2022 wurde das Landesmuseum zum Impulsgeber für einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz in Museen.
Christian Gries setzt sich am Landesmuseum und in zahlreichen Kooperationen gemeinsam mit Digital- und Museumsexpert:innen für ein zeitgemäßes Datenmanagement an Museen ein und entwickelt oder begleitet digitale Vermittlungsformate, darunter aktuell das KI-gestützte Storytelling-Projekt #LAUTseit1525 zur Großen Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“ und KI-generierte Avatare historischer Persönlichkeiten im Rahmen der Ausstellung „UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“. Die Animationen und Bilder sind mittels der KI-Systeme Midjourney und Stable Diffusion generiert, um Besucher:innen des Museums neue Perspektiven auf die historischen Ereignisse aus dem Mittelalter zu eröffnen und ihre Bezüge zur heutigen Zeit zu vermitteln.
Das Landesmuseum Württemberg befürwortet einen kulturpolitischen Diskurs über KI und unterstützt Initiativen wie das Positionspapier des Deutschen Kulturrats „Künstliche Intelligenz: Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur nachhaltig entwickeln“.
MAKURA: Im Rahmen der Großen Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“, die seit September 2024 und noch bis Oktober 2025 läuft, setzen Sie verschiedene Werkzeuge der künstlichen Intelligenz ein. Wie kam es dazu?
Christian Gries: In unserer Digitalstrategie liegt der Fokus im Datenmanagement. Damit arbeiten wir am Herz dessen, was zeitgenössische Museumsarbeit auszeichnet, nämlich die Auseinandersetzung mit den Objektdaten und den Prozessen der Digitalisierung unserer Sammlungen. Bis in das Jahr 2022 hatten wir uns tatsächlich weniger mit experimentierfreudigen digitalen Vermittlungsformaten beschäftigt, wie ich sie aus anderen Museen kenne, auch wenn wir im Landesmuseum Württemberg seit Jahren mit digitalen Werkzeugen im Datenmanagement, bei Veranstaltungen oder in unseren Ausstellungen arbeiten.
Das Thema KI ist erst zu Beginn der Planungen für die Große Landesausstellung zu uns gekommen: Bei der Ausschreibung der insgesamt fünf Projekte zum Bauernkrieg war erstaunlich, dass in den meisten Angeboten der teilnehmenden Agenturen künstliche Intelligenz einen wesentlichen Bestandteil der Konzepte stellte. Das war der Moment, in dem wir als Museum die Chance und die Pflicht gesehen haben, uns mit dem Thema auseinander zu setzen. In der Folge brachten uns der enorme technologische Fortschritt und europaweite Entwicklungen wie der EU AI-Act zur künstlichen Intelligenz in die Handlung. Für uns war klar: wenn in unseren Ausstellungen wie auch intern im Museumsbetrieb KI zum Einsatz kommt, dann wollen wir das professionell und kritisch angehen. Dies bedeutete für uns im ersten Schritt, eine Leitlinie für den Einsatz von KI zu formulieren, die auch an die von der EU formulierten Regeln anschlussfähig ist.
Worauf basiert Ihre Leitlinie zur künstlichen Intelligenz?
Als Museum versprechen wir Qualität. Das tun wir auf vielen Ebenen und in vielen Bereichen: auf Basis hoher wissenschaftlicher Standards, unserer Sammlungskonzeption und natürlich auch einer digitalen Strategie. Das vergleichsweise neue Thema KI muss zu allen Aufgaben und Handlungsfeldern der Museumsarbeit in ein Verhältnis gesetzt werden – und hierfür bietet die Leitlinie eine verlässliche Referenz, auf die wir immer wieder zurückgreifen können und die nach außen hin sichtbar macht, was z.B. verantwortungsvolles Datenmanagement oder digitale Vermittlung bei uns bedeuten. Daher thematisieren wir in der Leitlinie Standards für Datensicherheit und Transparenz, beleuchten aber auch unseren Umgang mit Trainingsdaten für KI. Eine offene Lernkultur ist uns wichtig – und die bedeutet zum einen, dass wir Anwendungen gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen des Museums laufend kritisch reflektieren und zum anderen die Leitlinien als „living document“ neben unseren Prompts auf der Plattform GitHub öffentlich zugänglich machen. Transparenz ist das Gebot der Stunde.
Welche KI-Werkzeuge kommen bei Ihnen zum Einsatz? Wie spiegeln sich die Leitlinien dort wider?
Zur Großen Landesausstellung gehört die Ausstellung „UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“ im Kloster Schussenried in Oberschwaben, das damals auch ein regionaler Schwerpunkt der Aufstände war. Das Kloster selbst war Schauplatz der Geschehnisse: Am 29. März 1525 wurde es von Bauern besetzt und geplündert. An diesem Ort beleuchten wir die historischen Ereignisse, die damaligen politischen, ökonomischen, sozialen und geistig-religiösen Verhältnisse dieser Umbruchszeit. Wir versuchen die historischen Ereignisse aber auch mit einem modernen Storytelling an das Publikum der Gegenwart zu transportieren: Neben den Originalobjekten wie Kleidung, Flugschriften und Waffen begegnen unsere Besucher:innen hier auch den dreidimensionalen, KI-generierten Video-Avataren von insgesamt acht historischen Persönlichkeiten, die am Bauernkrieg beteiligt waren. Die Figuren sind modern interpretiert und vermitteln unterschiedliche Perspektiven auf die damaligen Ereignisse und ihre individuelle Sicht auf die Ordnung der Dinge und der Gesellschaft. Nun sind Darstellungen von Geschichte nie eine exakte Wiedergabe der Vergangenheit, sondern immer auch Konstruktion. Auch unsere acht Protagonist:innen können nur Interpretationen sein, die von unserer heutigen Vorstellungs- und Erfahrungswelt geprägt sind. Die Große Landesausstellung geht mit den KI-Avataren einen Schritt weiter und bezieht auch die äußere Gestalt der historischen Persönlichkeiten in diese Überlegungen mit ein. Unsere acht Figuren sind also kreative Deutungen, die auf historischem Wissen basieren und dennoch Spielraum für Vorstellungskraft lassen.
Hierbei transparent zu agieren bedeutet beispielsweise, dass wir eine eigene Medienstation einsetzen, die genau erklärt, wie die Avatare zustande kamen. Hier gibt es eine Menge zu lernen, und zwar vor allem über Verzerrungen der KI: unsere historische Hauptfigur, Magdalena Scherer, beispielsweise war Handwerkerin und vermutlich in den Jahren 1524/1525 Betreiberin eines Badhauses in Stuttgart. An verschiedenen Stationen in der Ausstellung erzählt sie von ihrem mittelalterlichen Alltag sowie den großen und kleinen Repressionen, denen sie als Anhängerin Luthers im katholischen Württemberg ausgesetzt war. An der Medienstation zeigen wir die Prompts, mit denen wir die KI angewiesen haben, Magdalena Scherer darzustellen. Anhand des Promptbefehls lässt sich gut nachvollziehen, welche Herausforderungen bestehen, wenn eine solche Figur nicht wie ein stereotypes Mittelalterklischee, wie Schneewittchen, aussehen soll. Sehr schnell offenbaren sich die Probleme, der bias in den Daten, mit denen die KI-Systeme (bei den Videos: Stable Diffusion) trainiert wurde. Die entstehenden Bilder sind klischeehaft, jedes Schloss sieht aus wie Disney-World, jedes Dorf liegt pittoresk an einem Berg, jede Burg auf einem Hügel. Es sind bestenfalls idealtypische Setzungen, die ein sehr verzerrtes oder falsches Mittelalterbild transportieren. Die KI-Bilder enthalten jede Menge Fehler. Diese sind eindeutig, wenn z.B. elektrische Lampen die alten Gassen beleuchten, aber auch weniger offensichtlich, wenn z.B. Kartoffeln auf einem Markt des 16. Jahrhunderts angeboten werden. Das Problem: je stärker diese Bilder unkommentiert in die Öffentlichkeit geraten und unsere Vorstellungen des Mittelalters prägen, umso falscher ist das Bild.
Deshalb erzählen wir nicht nur eine Geschichte, sondern machen auch die Fehleranfälligkeit und die Unschärfen der KI zum Thema. So beispielsweise auch in dem interaktiven Storytelling-Projekt LAUTseit1525 über Social Media, das ebenfalls zur Großen Landesausstellung gehört. Hier sind es zweidimensionale Figuren von Protagonist:innen des Bauernkriegs, die über Midjourney erstellt wurden. Diese Figuren erzählen eine „Geschichte der Möglichkeiten“ und liefern quellen- und faktenbasiert eine Erzählung, wie sie denkbar gewesen wäre. Die etablierte Methode dahinter nennt sich „Mikrogeschichte“. Der moderne Ansatz: wir zeigen nicht nur die KI-produzierten Bildwelten, sondern liefern auch gleich noch die Dekonstruktion, Korrektur oder Vertiefung.
In einer Welt, die von immer mehr Bildern überschwemmt wird, muss man eine eigene Fähigkeit entwickeln, sich kritisch mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Wir als Museum haben die Originale, wir stehen für Vertrauen und für gesichertes Wissen. Und in einer Zeit, in der sich diese Konturen immer stärker auflösen, ist es die Aufgabe von Museen, eine Schule des Sehens anzubieten, die Reflexion des Sichtbaren anzuregen und Besucher:innen zu motivieren, kritisch mit Fakten und Fiktionen umzugehen. Deshalb gehört für mich auch ein Transparenzversprechen dazu. Und wir legen offen, wo wir KI einsetzen.
Mit welchen Problemen waren Sie konfrontiert?
Die technischen Möglichkeiten haben sich radikal entwickelt. Während wir die Ausstellung fast drei Jahre lang vorbereitet haben, ist im Bereich der generativen KI viel passiert. Das Set an Möglichkeiten, mit dem wir gestartet sind, war ein ganz anderes als das, mit dem wir jetzt arbeiten. Zu Beginn des Projekts konnte die KI keine zwei Bilder generieren, in denen eine Figur halbwegs identisch ausgesehen hat. Wir wollten aber über 12 Monate Geschichten erzählen und benötigten ein konstant bleibendes visuelles Erscheinungsbild unserer Figuren. Auch hatte die KI massive Probleme mit der menschlichen Anatomie. Hände mit mehr als fünf Fingern gehörten quasi zum Standardproblem. Erst über die Monate hinweg wurde die KI hier besser und gab uns Textprompts an die Hand, um konsistente Abbildungen in unterschiedlichen Erzählsituationen zu schaffen.
Hinzu kommt, dass zu Beginn der Entwicklung vor ca. zwei Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung generative KI als spannender Möglichkeitsraum gesehen wurde, heute aber sehr kritisch gesehen wird. Künstliche Intelligenz besitzt keinen Kunstwillen – sie strebt weder nach Ausdruck noch nach Bedeutung. Ihre Werke sind Ergebnisse statistischer Berechnungen, nicht schöpferischer Intention. Auch wenn KI beeindruckende Bilder oder Texte erzeugen kann, fehlen ihr jede Empfindung, Kontextbewusstsein und ein eigenständiges künstlerisches Anliegen. Sie simuliert Kreativität, ohne sie je wirklich zu besitzen.
Daher wussten wir nicht, ob das Publikum solche KI-Matrix-Figuren als Transporteure in der Vermittlung annehmen würde. Heute können wir das für die Ausstellung im Kloster Schussenried und auch für das Projekt LAUTseit1525 bejahen. Es funktioniert: Das Publikum reagiert positiv auf die Avatare und Bildwelten und benutzt sie, um sich ins 16. Jahrhundert hineindenken zu können.
Zudem bleibt die Frage der Trainingsdaten ein zentrales Problem: Viele KI-Modelle basieren auf urheberrechtlich bedenklichem Material, das zuweilen offenbar auch ohne Zustimmung der Urheber:innen verwendet wurde. Dies wirft nicht nur ethische, sondern auch rechtliche Fragen auf – besonders im Kunstbereich, in dem die Herkunft und der Kontext eines Werks von entscheidender Bedeutung sind. Solange diese Grundlagen nicht transparent und fair geregelt sind, bleibt der Einsatz von KI in der Kunst ein ambivalentes Terrain. Da brauchen solche Formate die kuratierende Reflexion und eine methodische Einordnung.
Wir haben im digitalen Projekt #LAUTseit1525, das wie eine Grafic Novel angelegt ist und auf einer erzählenden Ebene intensiv mit KI-generiertem Bildmaterial arbeitet, lebhafte Diskussionen über Urheberschaft geführt. Vor allem mit Illustratorinnen und Illustratoren. Das Thema hat u.a. mit dem Positionspapier des Deutschen Kulturrats eine politische Bühne erreicht. Es ist besser, die Probleme zu reflektieren, als die wachsende Bedeutung von KI in unseren Lebens- und Arbeitsbereichen, aber auch Bildungswelten, zu negieren. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, nicht nur den Output zu zeigen, sondern ihn auch sofort zu kontextualisieren und zu hinterfragen: das machen wir in unseren Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen.
KI als Werkzeug zu nutzen – was bedeutet das für Sie?
Im Landesmuseum nutzen wir KI als Werkzeug, als Mittel zum Zweck. KI ist maximal ein Kopilot, aber auf gar keinen Fall ein Autopilot. Sie ist Element einer Produktionskette, in der der Mensch wesentlich bleibt: Während beispielsweise eine Drehbuchautorin im Dialog mit den Wissenschaftlern die Stories für #LAUTseit1525 entwickelte, wurde für die visuelle Umsetzung eine KI genutzt und der Output dann wieder visuell von Grafikern händisch eingebettet und von Expert:innen geprüft. Um die Mensch-Maschine-Interaktion klar zu benennen, unterscheiden wir generell zwischen KI-generierten und KI-assistierten Inhalten. Inhalte, die komplett über KI generiert sind, sind rechtlich meist nicht geschützt. Wenn aber die KI nur assistiert, zeichnen wir den Inhalt mit einer Creative Commons-Lizenz aus und machen so auch dem Publikum gegenüber deutlich, woher die Inhalte kommen.
Weil sie in so viele Arbeitsbereiche hineinwirkt, macht KI auch deutlich Arbeit. Aus meiner Sicht müsste jede Institution eine koordinierende Stelle für KI einrichten – nicht unbedingt als zusätzliche Personalstelle, sondern als Bündelung von Expertise und Verantwortung. Eine Stelle, die auch intern über „Do’s and Dont’s“ bei der Nutzung von KI-Systemen beraten kann. Jedes Haus braucht eine „digital literacy“.
Mit dem Einsatz von KI ist die Hoffnung verbunden, Angebote für Besucher:innen und Nutzer:innen attraktiver zu machen und dabei neue und inklusive Zugänge zu den Kultureinrichtungen und ihren Inhalten und Geschichten zu schaffen. Wie tragen Sie dazu bei, dass die Chancen von KI auch dafür genutzt werden?
Seit etwa 30 Jahren beschäftige ich mich mit dem Internet und digitalen Werkzeugen. Lange war für mich die Digitalisierung ein Hoffnungsträger für kulturelle Teilhabe. Nun sehe ich, wie stark KI eine Massenproduktion von Texten und Bildern motiviert und möglich macht. Wie gehen wir als Kulturinstitutionen, die für Qualität und Wissen stehen, mit diesen Fluten synthetischer Inhalte um?
Wichtig ist, in eine Verantwortung zu kommen und zu sagen: wir versuchen da mitzuarbeiten, z.B. indem wir als Haus unsere Inhalte Open Access publizieren. Welche Chance könnte darin liegen, wenn wir belastbares Datenmaterial zum Mittelalter als Trainingsdaten öffentlich zu Verfügung stellen würden?
Zwei Beispiele: das Amsterdamer Rijksmuseum hatte vor mittlerweile 11 Jahren das Problem, dass viele Anfragen über gängige Online-Suchmaschinen mangelhaftes Material zu den eigenen Highlights der Ausstellungen hervorgebracht haben. Das Haus hat dann beschlossen, seine Bilder Open Access ins Netz zu stellen und Initiativen unter dem Motto „Get Creative“ auf den Weg gebracht, die mit den Objektdaten online gearbeitet haben. Die Europeana hat damals dazu eine Studie unter dem Titel „Democratising the Rijksmuseum“ gemacht. Das Museum hat mit seinem Impuls zur Demokratisierung quasi das Internet aufgeräumt, die eigene Wahrnehmung und Reichweite gesteigert und einen in jeder Hinsicht erfrischenden Dialog mit der Industrie und Kreativwirtschaft begonnen. Das Projekt der NEO-Collections mit dem MK&G Hamburg, dem Übersee-Museum Bremen und dem Nationalmuseum Stockholm hat diesen Ansatz zwischen 2020 und 2024 weiterentwickelt und gezeigt, wie Museen digitale Transformation auf der Basis offener digitaler Sammlungen partizipativ und agil gestalten können. Die dort entwickelten Prototypen zeigen neue Wege für die Nutzung, Zugänglichkeit und Erschließung von Sammlungen auf – sowohl technisch als auch sozial.
Welche Rückschlüsse haben Sie für das Landesmuseum gezogen?
Unsere Digitalstrategie thematisiert nicht mehr den Fokus auf eine eigene Online-Sammlung. Wir arbeiten an einer multidirektionalen Ausspielung. Das heißt, wir spielen nicht nur in die eigene Website aus, sondern publizieren unsere Daten Public Domain oder Open Access mit entsprechenden Lizenzen, die eine möglichst freie Nachnutzung realisierbar machen. Zur Qualitätssicherung legen wir die FAIR-Prinzipien zugrunde, damit die Nachnutzung von Forschungsdaten motiviert werden kann. Und wir publizieren in Systeme wie Europeana, Deutsche Digitale Bibliothek, Museum Digital, also in die großen Kultur-Portale und Repositorien, durch die Nachnutzung möglich wird. Auch arbeiten wir gemeinsam mit Museen aus ganz Baden-Württemberg, der Landesstelle für Museen und der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg an einem Projekt zur nachhaltigen Bereitstellung kultureller Inhalte im Netz, über das wir Wikimedia viele Daten zur Verfügung stellen wollen. Es handelt sich um qualifizierte Objekt- und Metadaten, die maschinenlesbar sind und potenziell auch mittels KI nutzbar sein werden. Inwiefern wir mit unseren Kulturdaten so ein mächtiges System wie ChatGPT „aufräumen“ können, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt offen.
Die Möglichkeiten, KI für den Abbau von Barrieren und Inklusion einzusetzen, sind derzeit noch sehr begrenzt. Für uns ist da die gemeinsame Arbeit mit Zielgruppen wichtiger als jeder noch so gute Prompt. Zugänglichkeit für unterschiedlichste Communities im digitalen Raum entsteht dadurch, dass wir Inhalte des Museums in relevante Lern- und Rezeptionssysteme hineintragen, also neue Wege finden, um den Umgang mit Kultur und mit Wissen überhaupt erst möglich zu machen. Dafür braucht es eine Öffnungsstrategie auf den Ebenen der Inhalte, der Daten, der Werte und der Leitbilder. Eine höhere Sichtbarkeit von kulturellem Wissen zu gewährleisten erfordert aber, dass wir mit zeitgemäßen, sicheren Digital-Systemen im europäischen Raum arbeiten können, insbesondere eben auch mit KI – aber das scheint mir noch ein langer Weg zu sein.
Wo können Sie seitens des Museums ansetzen, um übergreifende Strukturen mitzugestalten?
Ich habe das „Miteinander“ immer als eine der wichtigsten Quellen und Methoden guter digitaler Transformationsarbeit verstanden. In Baden-Württemberg arbeite ich derzeit mit einigen anderen Digitalmanger:innen der Landesmuseen an einer Orientierungshilfe zu Open Access. Es ist ein kurzes Dokument und soll als Grundlage dienen, um es fortzuschreiben und an die Ziele und Gegebenheiten der unterschiedlichen Häuser jeweils anzupassen. Wie unsere KI-Leitlinie wird es als „living document“ verstanden. Die Vernetzung untereinander und Veränderungsbereitschaft ist wichtig, um sich dem schnelllebigen und komplexen Thema KI überhaupt stellen zu können. Zugegeben: die Landesregierung von Baden-Württemberg hat durch ihre Digitalstrategie in den letzten Jahren jeweils zwei Digital-Manager:innen in den großen Museen eingesetzt und damit sehr gute Bedingungen geschaffen. Dadurch konnten einige KI-Projekte angeschoben werden. Deshalb würde ich dieses Bundesland auch nur ungern wieder verlassen – (er lacht; Anm. der Red.).
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Gries!
Das Interview führte Ina von Kunowski aus der MAKURA-Redaktion.
Weiterführende Links und Verweise:
Website zur Großen Landesausstellung 500 Jahre Bauernkrieg: https://www.bauernkrieg-bw.de/ (Zugriff am 1.08.2025)
„Digitalität“: Überblicks- und Einführungstext von Christian Gries zu den Dossiers des Zentrums für kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg: https://kulturelle-teilhabe-bw.de/themen/dossiers/digitalitaet-2 (Zugriff am 1.08.2025)
„Künstliche Intelligenz: Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur nachhaltig entwickeln“, Positionspapier des Deutschen Kulturrats: https://www.kulturrat.de/positionen/kuenstliche-intelligenz-rahmenbedingungen-fuer-kunst-und-kultur-nachhaltig-entwickeln/ (Zugriff am 1.08.2025)
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Landesmuseum Württemberg: https://www.landesmuseum-stuttgart.de/museum/kuenstliche-intelligenz (Zugriff am 7.08.2025)
Leitlinien der Digitalen Strategie des Landesmuseum Württemberg: https://www.landesmuseum-stuttgart.de/museum/digitale-strategie (Zugriff am 7.08.2025)
Der Bauernkrieg als Graphic Novel: im Interview mit Dr. Christian Gries: https://mittelalter.digital/artikel/13294/der-bauernkrieg-als-graphic-novel-im-interview-mit-dr-christian-gries (Zugriff am 7.08.2025)
Dr. Christian Gries ist promovierter Kunsthistoriker und Medienentwickler mit langjähriger Erfahrung in der digitalen Transformation von Kultureinrichtungen. Seine Expertise liegt in der Entwicklung, Implementierung und wissenschaftlichen Reflexion digitaler Strategien in Museen, Bibliotheken und Archiven. Als Gründer und Geschäftsführer von Janusmedia und den Kulturkonsorten war er an innovativen Projekten im gesamten deutschsprachigen Raum beteiligt. Er verbindet museologische und kulturwissenschaftliche Kenntnisse mit methodischer und technologischer Kompetenz im Bereich digitaler Medien. Er lehrt an Universitäten in Berlin bzw. Leipzig und publizierte vielfach zur digitalen Kulturvermittlung. Von 2015 bis 2020 leitete er an der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern das Pionierprojekt „Digitale Strategien für Museen“. Seit 2020 verantwortet er am Landesmuseum Württemberg die Abteilung „Digitale Museumspraxis und IT“ und gilt bundesweit als Impulsgeber für Digitalisierung und Transformation im Kulturbereich.