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Räume unserer Mütter

ältere Frau mit Bild in der Hand, im Hintergrund alte Möbel

Als die Regisseurin Sharon On nach Abschluss ihres Theaterpädagogik-Studiums in Berlin in das wenige Kilometer entfernte Ludwigsfelde umzog, fielen ihr die vielen älteren Bewohner:innen auf, die das Bild der Gemeinde prägen. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Laura Söllner beschloss sie, dort ein Theaterprojekt für Senior:innen aufzuziehen.

„Räume unserer Mütter“ sollte es heißen – ein Titel, der verschiedene Deutungen zulässt: Welchen Raum nehmen die Mütter auch noch im Leben von älteren bis hochbetagten Menschen ein? Welche Räume konnten sich deren Mütter nehmen und gestalten, auf welche waren sie zurückgeworfen und beschränkt? An welche Räume erinnern sich Menschen im Alter zurück, wenn sie an ihre Mütter und ihre Kindheit denken?

Im November 2016 wurden die „Räume unserer Mütter“ schließlich konkret und begehbar: als „Raum der Kindheit“, „Raum des Zuhauses“, „Raum der körperlichen Momente“ und andere Räume, die als performative Erzählinstallation im Ludwigsfelder Klubhaus von zehn Senior:innen bespielt wurden.

Kulturelle Bildung für Senior:innen – eine Lücke in der Förderlandschaft

Ob dieses Vorhaben würde realisiert werden können, war noch Monate zuvor ungewiss: Bei den meisten angefragten Fördergeber:innen waren die Theatermacherinnen abgeblitzt. Die Plattform Kulturelle Bildung Brandenburg war es schließlich, die von dem Konzept überzeugt war und eine Projektförderung gewährte, auf die weitere Geldgeber folgten. Praktische Hilfe bei der Suche nach Mitspieler:innen kam von der Akademie 2. Lebenshälfte und dem örtlichen Senior:innenbeirat. Entscheidend war auch die Bereitschaft der Beteiligten, für geringe Bezahlung oder ehrenamtlich zu arbeiten: Sonst, so Laura Söllner, wäre das Projekt nicht umsetzbar gewesen.

Sharon On bedauert, wie schwierig es sei, Mittel für kulturelle Bildung zu gewinnen, wenn die Zielgruppe nicht mehr jung ist. Ihrer beider Erfahrungen zeigen: Senior:innen werden in der Förderlandschaft der kulturellen Bildung schlichtweg ignoriert – obwohl das Bedürfnis nach sozialer und kultureller Teilhabe keine Altersgrenze kennt.

Biografische Theaterarbeit und Spielfreude von Senior:innen

Mit Senior:innen von Ende fünfzig bis Anfang achtzig theaterpädagogisch zu arbeiten, habe ihnen keine große Umstellung abverlangt: „Unsere Stellschrauben waren noch nicht festgezurrt“, sagt Söllner lachend, und On bemerkt, das Alter habe große Vorteile, wenn die eigene Biografie Gegenstand der Theaterarbeit sei: Die Senior:innen wüssten und sagten genau, was sie einbringen wollten und was nicht. So entschieden die Theatermacherinnen gemeinsam mit den Spieler:innen, welche Teile des Erlebten, der Erinnerungen an Krieg, Nachkriegszeit und DDR-Jahre auf die Bühne kommen würden. Über ein halbes Jahr hinweg, für mehrere Stunden in der Woche, bot die Probenphase Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen und ein Gefühl für individuelle Grenzen zu entwickeln.

Dabei wurde auch die Spielfreude der Senior:innen geweckt. Ein in der Theaterpädagogik bekanntes Spiel, bei dem es darum geht, sich als Monster oder als Prinzessin zu jagen oder verfolgen zu lassen, sei ein Dauerbrenner bei den Proben gewesen, erzählt On. Darüber hinaus sei sie um einige Vorurteile gegenüber Senior:innen leichter geworden: etwa, dass diese immer Zeit hätten oder dass sie es möchten, wenn ihnen Dinge abgenommen werden. Was sich jedoch bewahrheitete, ist, dass sich ältere Menschen oftmals isoliert fühlen und ihre Geschichten häufig ungehört bleiben. Aus dieser Erfahrung heraus seien die Teilnehmer:innen von „Räume unserer Mütter“ lange skeptisch gewesen, ob ihre Erinnerungen es wert seien, auf die Bühne gebracht zu werden. Erst die Aufführungen hätten das Aha-Erlebnis gebracht: „Das interessiert die Leute ja wirklich!“

Universelle Erfahrungen teilen … und mal wieder Oma besuchen

In den Vorstellungen von „Räume unserer Mütter“ bewegten sich die Besucher:innen durch Raum-Module von Bühnenbildnerin Anita Fuchs, basierend auf Erinnerungen und Fotografien der Spieler:innen und ihrer Mütter. Die detailverliebte Ausstattung zog nicht nur die Zuschauer:innen in ihren Bann, sondern erzeugte auch bei den Spieler:innen ein Gefühl der Wertschätzung gegenüber ihrer eigenen Person und Geschichte.

In den Begegnungen zwischen Spieler:innen und Besucher:innen wurden universelle Erfahrungen geweckt: Ein Tiroler Besucher erkannte in einem Rezept einer Spielerin „eins zu eins“ das seiner Großmutter wieder; ein syrischstämmiger Besucher fühlte sich beim Rundgang an die eigenen Großeltern erinnert. Und generationen- und herkunftsübergreifend verließen Besucher:innen die Vorstellung oft mit einem Gedanken: „Ich muss unbedingt Oma besuchen.“

Fakten

Fakten zum Projekt

Projektteam:

VorOrtung e. V. Sharon On, Laura Söllner
Kooperationspartner:innen: Akademie 2. Lebenshälfte im Land Brandenburg e. V., Seniorenbeirat Ludwigsfelde

Förder:innen, Fördersummen:

Gefördert mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, durch die Stadt Ludwigsfelde und die Bildungs-, Jugend-, Kultur- und Sportstiftung Teltow-Fläming der Mittelbrandenburgischen Sparkasse in Potsdam

Ressourcen:

Kostüm- und Ausstattungsmaterial für die getrennt begehbaren Räume sowie Licht- und Tontechnik

Zielgruppe:

Senior:innen

Kunstsparte:

Biografisches Theater und Performance

Projektzeitraum:

Mai bis November 2016

Webpräsenz:
Sonstige Veröffentlichungen:
Kontakt:

VorOrtung e. V.
Genshagener Dorfstraße 2
14974 Ludwigsfelde
vorortung@posteo.de
www.vorortung.de