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Der Drang nach Wandel – ein Plädoyer für eine diskriminierungskritische und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung

von Idil Efe

Juli 2024

Die Kulturbranche bietet Räume für kreativen Ausdruck und Reflexion. Eine diverse Kulturbranche kann dabei vielfältige Perspektiven und Geschichten abbilden, wodurch die Innovationskraft und die Kreativität kultureller Institutionen erheblich gesteigert werden. Diverse Teams führen zu neuen kulturellen Programmen, die ein breiteres Publikum ansprechen. In der freien Szene gelingt die Ansprache weitaus mehr als in öffentlich geförderten Kulturinstitutionen.

In den öffentlich geförderten Kulturinstitutionen brauchen diese Prozesse besondere Aufmerksamkeit und stellen viele Mitarbeitende und Führungskräfte vor Herausforderungen, die sich dabei abhängig von ihrer Größe, ihrem Standort, der jeweiligen Kultursparte und dem Kontext, in dem sie stehen, unterscheiden. Ein analytischer Blick von innen sowie von außen ist notwendig. Umfragen und Erhebungen sind in diesem Kontext ebenso wichtig wie eine offene und transparente Kommunikationskultur, denn für die meisten Institutionen ist Diversifizierung mit einem herausfordernden Wandel in einem fortdauernden Prozess verbunden. Auf eine verbindliche Kommunikation kommt es an.

Warum sollte diskriminierungskritische, diversitätsorientierte Organisationsentwicklung strategisch in der öffentlich geförderten Kulturlandschaft implementiert werden?

Diversität entsteht durch das Erkennen und Benennen von Unterschieden. Diesen Prozess nennt man Diskriminierung im neutralen Sinne des Wortes, also die Feststellung und Anerkennung von Differenzen. Oft jedoch werden diesen Unterschieden hierarchische Bewertungen beigefügt, wodurch Machtverhältnisse und Ungleichheiten entstehen.

Eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung ohne eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Machtverhältnissen wird den Anforderungen einer pluralistischen Demokratie nicht gerecht. Deshalb ist es entscheidend, bei der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung zugleich eine diskriminierungskritische Herangehensweise zu verfolgen.

Diese Frage ist zentral, denn ohne eine sinnvolle Antwort bleiben alle Bemühungen symbolisch. Bereits seit den 1970er Jahren wird ein Kulturwandel gefordert. Der Kulturpolitiker und ‑funktionär Hilmar Hoffmann betonte in seiner Schrift „Kultur für alle”: „Es geht nicht nur darum, dass alle Zugang zur Kultur haben, sondern, dass Kultur an sich transformiert wird, um den Ansprüchen und Bedürfnissen einer vielfältigen Gesellschaft gerecht zu werden.”Diese Forderung nach einem Kulturwandel und einem strukturellen Wandel in der Kultur ist heute relevanter denn je: Erstens ist der Wandel ja schon in vollem Gange und sucht seinen Ausdruck auf struktureller Ebene und zweitens wird mit der zunehmenden Pluralisierung der Gesellschaft und ihrer Vernetzung mit weltpolitischen Ereignissen der konstruktive und kompetente Umgang mit Diversität immer dringlicher. 

Da öffentlich geförderte Kulturinstitutionen gesellschaftliche Normen und Werte nicht nur widerspiegeln, sondern diese ihrerseits auch prägen, haben sie eine besondere Verantwortung, eine diskriminierungskritische, diversitätsorientierte Organisationsentwicklung strategisch umzusetzen. Durch eine solche Arbeitsweise setzen sie ein wichtiges Zeichen und inspirieren andere Organisationen wie auch andere Gesellschaftsbereiche. Kulturen transformieren sich ständig. Und um diese Prozesse gestalten und begleiten zu können, brauchen Institutionen Strategien. Diese werden kaum einmal abgeschlossen sein, sondern Kulturinstitutionen müssen aus ihrem Selbstverständnis heraus in ständiger Resonanz zur Gesellschaft, die sie beauftragt hat und in die sie eingebettet sind, agieren. Nur so können sie die Relevanz und Legitimität ihrer Institutionen in einer sich wandelnden Gesellschaft sichern und gesellschaftliche Diversität adäquat repräsentieren. Eine solche Entwicklung berücksichtigt alle gesellschaftlichen Gruppen und stärkt das Vertrauen und die Akzeptanz in der Bevölkerung.

Alexander und Margarete Mitscherlich schrieben 1968 in ihrem Buch „Die Unfähigkeit zu Trauern“: „Arbeit ist – in der Form, in der sie heute von den Massen geleistet werden muss – nur wenig geeignet, dem Individuum als Hilfsmittel seiner Integration zu dienen. Integration meint hier Stabilisierung kritischer Selbstwahrnehmunng.“ Mitarbeitende in Kulturinstitutionen haben jedoch die Möglichkeit, aus der Verwaltungslogik herauszutreten und durch eine diskriminierungskritische und  diversitätsorientierte Arbeitsweise ihre Ambiguitätstoleranz zu erhöhen. Nur so können sie als Resonanzraum an einer inklusiven Kultur arbeiten, in der individuelle Differenzen und Gemeinsamkeiten geschätzt werden. Diese Integration zu fördern beginnt mit dem Selbst, setzt sich fort in der Arbeit in Institutionen und geht im Idealfall als Impuls zurück in die Gesellschaft.

 

Theorie und Praxis der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung

Der wichtigste Faktor vor dem Hintergrund der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung ist, ob die Institution wirklich bereit ist, sich selbst zu analysieren und den Prozess gut durchdacht zu starten. Warum wollen wir Diversität? Und was soll sich ändern? Und wie wollen wir uns und unsere Strukturen verändern? Das sind die wesentlichen Fragen, die gestellt werden müssen. Und es gibt Weitere: Soll es sein, um das Image der Institution zu verbessern, d.h. die Arbeitgebermarke zu entwickeln? Oder um Strukturen zu verändern? Oder einen freundlicheren Umgang miteinander zu pflegen? Oder neue Mitarbeitende mit neuen und anderen Profilen zu gewinnen? Die Antwort auf die Warum-Frage ist entscheidend für die Wahl effektiver Maßnahmen. Diese ist nicht immer bereits klar und eindeutig beantwortet, doch was zählt, ist im ersten Schritt, dass Institutionen sich auf den Weg machen. Auf diesem Weg gibt es allerdings zahlreiche Herausforderungen. Widerstand innerhalb der Institution kann auftreten, wenn Mitarbeitende und Führungskräfte Veränderungen skeptisch gegenüberstehen, den Sinn dieser nicht anerkennen oder nicht ausreichend informiert sind. Fehlende Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell, können ebenfalls die Umsetzung behindern. Auch eine unzureichende Datenlage über die aktuelle Diversitätssituation in der Institution erschwert die gezielte Entwicklung von Maßnahmen.

 

Dimensionen der Diversität

Um eine umfassende Inklusion in den Bereichen von Programm, Personal, Publikum und Partnern zu gewährleisten, müssen verschiedene Diversitätsdimensionen berücksichtigt werden. Die soziale Hierarchie muss adressiert werden, um sicherzustellen, dass Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten gleiche Chancen und Zugang zu Ressourcen haben. Dies betrifft sowohl Mitarbeitende als auch das Publikum. Die Vielfalt von unterschiedlichen Milieus und Lebensstilen sind deshalb wichtig, weil die Bedürfnisse sich hier sehr stark unterscheiden können. Während beispielsweise die einen den Anspruch an Unterhaltung in den Vordergrund rücken, wollen andere stärker ihr Wissen vertiefen und erweitern. Die Auswahl und die Zugänglichkeit der Inhalte ist von dem Bildungshintergrund und Wissensstand der Partizipierenden abhängig. Unterschiede sollten deshalb berücksichtigt werden. Die Anerkennung und Wertschätzung religiöser und weltanschaulicher Vielfalt sind notwendig, um ein tolerantes Umfeld zu schaffen, in dem religiöse und weltanschauliche Identitäten ohne Angst vor Diskriminierung ausgelebt werden können. Ethnische Vielfalt erfordert aktive Strategien gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung, die sich als besonders hartnäckig erweisen. Während der Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen inklusive Praktiken stärkt. Altersvielfalt bedeutet, die Erfahrungen verschiedener Generationen wertzuschätzen und bei Entscheidungen zu berücksichtigen. Ein inklusives Arbeitsumfeld für alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten wird durch Bewusstseinsbildung gefördert. In sensibilisierenden Workshops sollte besonders auf intersektionale Diskriminierung hingewiesen werden, denn eine Diskriminierung kommt selten allein.

Für die Umsetzung in der Praxis sind grundlegende, aufeinander aufbauende Schritte notwendig. Eine gründliche Analyse der aktuellen Situation in Bezug auf Diversität innerhalb der Institution sollte den Ausgangspunkt darstellen. Dabei werden bestehende Herausforderungen und Probleme identifiziert, um gezielt darauf eingehen zu können. Es folgt die Festlegung klarer Ziele und die Entwicklung einer umfassenden Strategie zur Förderung von Diversität. Dies könnte beispielsweise zunächst die Implementierung von Antirassismus-Strategien, die Sensibilisierung für Ableismus oder die Förderung von Geschlechtervielfalt beinhalten. Schulungen und Workshops zur Erhöhung des Bewusstseins und der Kompetenz der Mitarbeitenden in Bezug auf Diversität sind essenziell. Die Personalgewinnung, -entwicklung und ihr Management sind die wichtigsten Strategien, denn jede Institution lebt von ihren Mitarbeitenden, ihrer Kreativität und Innovationskraft. Die regelmäßige Überprüfung der Fortschritte und Anpassung der Strategien stellen sicher, dass die gesetzten Ziele erreicht werden und fördern eine nachhaltige Entwicklung und Anpassungsfähigkeit, die eben vor allem eine Managementaufgabe ist.

 

Strategien zur Überwindung der Herausforderungen

Während Diversitätsthemen von einigen als Modeerscheinung begriffen werden, die man auch „aussitzen“ kann, verbinden andere mit ihnen den Wunsch nachlange überfälliger gesellschaftlicher Veränderung und die Hoffnung auf eine neue, andere Arbeits- und Organisationskultur. Im besten Fall entwickelt die Institution die Antwort auf die Frage, warum eine diversitätsorientierte Entwicklung notwendig ist, gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden, bevor sie Maßnahmen ergreift. Denn den Wandel haben alle in der Institution mitzutragen. Wenn es keine klare gemeinsame Ausrichtung gibt, werden jene, die den Wandel gestalten sollen, auf große Widerstände stoßen und möglicherweise werden die Bemühungen nicht nachhaltig sein.

Um diese Herausforderungen zu überwinden, sind konkrete Strategien und Maßnahmen notwendig. Zu diesen gehören beispielsweise:

  1. Schulungsprogramme: Sensibilisierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeitende und Führungskräfte, um ein Bewusstsein für Diversität und Inklusion zu schaffen und Diversitätskompetenzen zu erhöhen.
  2. Anpassung von Rekrutierungsprozessen: Überprüfung und Anpassung der Rekrutierungsstrategien, um eine diversere Belegschaft zu fördern - Stellenbeschreibungen überprüfen, Anforderungsprofile anpassen, Stellenauschreibungen und Bewerbungsverfahren diversitätsorientiert gestalten.
  3. Monitoring- und Evaluationsmechanismen: Einführung von Systemen zur regelmäßigen Überprüfung der Fortschritte und Anpassung der Strategien.
  4. Unterstützung der Changemaker: Förderung und Unterstützung von Mitarbeitenden, die sich aktiv für Diversität und Inklusion einsetzen. Dies bedeutet zum Beispiel Gremien zu entwickeln und diesen Zeit und weitere Ressourcen zuzuweisen.
  5. Langfristiges Commitment: Entwicklung von Stellen mit dem Schwerpunkt Diversität.

 

Eine diskriminierungskritische, diversitätsorientierte Organisationsentwicklung ist deshalb notwendig, da der bereits vollzogene gesellschaftliche Wandel darauf wartet, von der Kultur und ihren Institutionen integriert zu werden. Und das kann in einer pluralen Demokratie nur bedeuten, das noch zu Integrierende strukturell zu verankern, und einen kompetenten Umgang mit Diversität zu entwickeln. Der Wandel, den wir uns wünschen, ist möglich – wenn wir bereit sind, ihn gemeinsam zu gestalten.

 

„Der Wandel, den wir uns wünschen, ist möglich – wenn wir bereit sind, ihn gemeinsam zu gestalten.“

Idil Efe ist eine Expertin für Diversitätsmanagement im Kulturbereich. Als Projektleiterin betreute sie das Neuköllner Talente Projekt, als Geschäftsführerin in der strategischen Kommunikation die Bürgerstiftung Neukölln und leitete die Fotogalerie Neuköllner Leuchtturm. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin beriet sie von 2019 bis 2023 als Diversitätsagentin bei Diversifizierungsmaßnahmen in den Bereichen Programm, Publikum und Personal. Sie berät und coacht Mitarbeitende und Führungskräfte in sozialen und musealen Kontexten und ist als Speakerin und Moderatorin bei Veranstaltungen tätig. Als Kuratorin hat sie zahlreiche Ausstellungsprojekte entwickelt und begleitet.

Weitere Informationen: idilefe.com