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Damit kein Gras drüber wächst

Gruppe von Menschen an einer Wand

Die Nazis von nebenan

Der Nationalsozialismus fand nicht nur „anderswo“ statt, in den Hochburgen der Führungselite, in den Vernichtungslagern. Viele der Gräueltaten wurden von oft ganz „normalen“ Leuten von nebenan begangen. Auch im Gestapo-Lager „Neue Bremm“ für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter:innen. Berüchtigt für seine außerordentliche Brutalität, diente es unter anderem als Verteilzentrum für die Konzentrationslager und war meist ein grausamer Zwischenstopp für die oft ohne Verfahren inhaftierten Insass:innen. Insgesamt circa 20.000 Menschen wurden hier gequält und gedemütigt, Hunderte von ihnen getötet. Die Wächter:innen im Lager waren keine SS-Leute, sondern, mit Ausnahme dreier leitender Berufssoldaten, ganz gewöhnliche Frauen und Männer, die beim Arbeitsamt in Saarbrücken als arbeitssuchend gemeldet waren und von der Gestapo als Wachleute angefordert wurden: der pensionierte Bergmann Nikolaus Drokur, ein angesehener Bürger der Stadt und zugleich die berüchtigte „Bestie“ des Lagers, der abends nach getaner Arbeit nach Hause zu seiner Familie ging, oder die barbarischen Lagerköche, die schließlich im Zuge der Rastatter Prozesse als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurden. „Dabei wurde keiner der dienstverpflichteten Aufseher von den Vorgesetzten dazu gezwungen, Häftlinge zu misshandeln. Es lag in der Verantwortung des Einzelnen, ob er sich an der von der Gestapo in Gang gesetzten Gewalteskalation beteiligte.“ (Quelle: https://gestapo-lager-neue-bremm.de/aufseherinnen-und-aufseher/)

Lebendiges Erinnern

Ziel des zunächst auf drei Jahre (2020–2022) angelegten Projekts „Damit kein Gras drüber wächst“ ist es, junge Menschen über die NS-Zeit zu informieren und sich gemeinsam mit ihnen daran zu erinnern – auch und gerade vor dem Hintergrund, dass NS-Verbrechen oft „direkt vor der Haustür“ begangen wurden. Die Jugendlichen beschäftigen sich mit historisch-politischen Themen des Nationalsozialismus in ihrer Region – und zwar genau dort, wo sich diese Geschichte ereignet hat. Dazu werden in Kooperation mit der „Initiative Neue Bremm“ und dem Historischen Museum Saar Workshops, Projekttage und Workcamps angeboten. Jugendliche und junge Erwachsene können sich direkt an den Erinnerungsorten intensiv mit dem Entstehen und den Folgen von Diktatur und Machtherrschaft befassen.

Geschichte wird somit an konkreten Orten greifbar. Nicht nur in der Beschäftigung mit historischen Fragestellungen, sondern auch im Aufgreifen aktueller Debatten, zum Beispiel zu Menschenrechten, Demokratie und Diskriminierung: „Im Zwiegespräch passiert Kontextualisierung“, erklärt Lisa Denneler, Projektleiterin des Landesjugendring Saar (LJR). Ganz zentral ist für Denneler die freiwillige Mitarbeit der Jugendlichen jenseits von vorgegebenen Themen oder Konzepten. Gespräche, zum Beispiel über NS-Kontinuitäten, über Rassismus, Antisemitismus und Faschismus, entstehen organisch und entwickeln sich in der ganz konkreten Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort und den Lebenswelten der Jugendlichen.

Fakten

Fakten zum Projekt

Projektträger

Landesjugendring Saar in Kooperation mit der „Initiative Neue Bremm“ und dem Historischen Museum Saar

Förderung

Von 2020 bis 2022 Förderung durch die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien, Förderlinie „Jugend erinnert“, Gesamtfördersumme über drei Jahre: 242.000 Euro, sowie Förderung von Einzelmaßnahmen durch das saarländische Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit.

2023: Förderung durch das saarländische Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit und das Ministerium für Bildung und Kultur für ein Jahr: 92.000 Euro

Zielgruppe

Jugendliche und junge Erwachsene ab 13 Jahren sowie Multiplikator:innen aus Schule und Jugendarbeit aus dem Saarland sowie der Region SaarLorLux

Kunstsparte

Erinnerungsarbeit

Projektzeitraum

2020–2022, verlängert bis Ende 2023, Weiterführung angestrebt

Weitere Veröffentlichungen

Webpräsenz: www.erinnert-euch.de

Youtube: Kanal "Erinnert euch!" https://www.youtube.com/channel/UC4kP0rr5_RASCdM_c8KmFCQ

Graphic Novel zum ehemaligen Gestapo-Lager Neue Bremm gemeinsam mit Schüler:innen der Sophie-Scholl-Gemeinschaftsschule Dillingen: https://bit.ly/3VzuIk0

App-Rundgang über die Gedenkstätte Gestapo-Lager Neue Bremm in der App „Orte der Erinnerung“:
Die App „Orte der Erinnerung“ kann kostenlos über die gängigen App-Stores bezogen werden. Weitere Informationen zur App und zum Download auch unter www.orte-der-erinnerung.entdeckerwelten.eu

Graffiti und Graphic Novels schaffen Anschaulichkeit und Sichtbarkeit

Vielfältige Methoden unterstützen eine nachhaltige Beschäftigung mit der Thematik und ermöglichen ausreichend Raum und Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten. „In erster Linie geht es darum, zu gucken, wie wir diese Inhalte möglichst bildhaft und verständlich vermitteln, sodass Jugendliche neugierig werden, Schlüsse ziehen und ihre eigene Transferleistung machen können“, erläutert Lisa Denneler. Die Bildungsangebote sollen eine aktive und partizipative Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Erinnerungskultur fördern.

In Workcamps arbeiten die Teilnehmer:innen in kleineren Gruppen nach dem Peer-Education-Ansatz gemeinsam mit Studierenden. „Wir nutzen Medien und Methoden der kulturellen Bildung, um Interesse für das Thema herzustellen“, erklärt Denneler. So gestalteten Jugendliche eine Graphic Novel über die Geschichte des Gestapo-Lagers „Neue Bremm“, um sich mit der Geschichte des Ortes ganz unmittelbar auseinanderzusetzen. „Durch ein solches Endprodukt schafft man mehr Wertschätzung für die Arbeit der Jugendlichen und wird in der Öffentlichkeit sichtbar.“

Im Rahmen eines Graffiti-Workshops beschäftigten sich die teilnehmenden Jugendlichen mit Menschen, die im Lager „Neue Bremm“ inhaftiert waren: mit der 15-jährigen ukrainischen Zwangsarbeiterin und Widerstandskämpferin Polina Tichowskaja, mit dem französischen Widerstandskämpfer Roger Vanovermeir, mit der jungen Französin Clémence Jacques, die ihren Bruder vor der Wehrmacht versteckt hatte. Unter professioneller Anleitung einer Künstlerin entstanden Graffiti-Kunstwerke, die in der Innenstadt ausgestellt wurden und Passant:innen zu Gesprächen mit den Jugendlichen anregten.

Alle Zeichen auf Kooperation

„Damit kein Gras drüber wächst“ setzt vor allem auf Netzwerkarbeit, um Akteur:innen der Erinnerungsarbeit miteinander ins Gespräch zu bringen und junge Menschen über Schulen und Jugendverbände zu erreichen. Dafür kooperiert das Projekt mit „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, bietet Fortbildungsangebote für Multiplikator:innen an, führt in der Großregion Fachtagungen zur Erinnerungsarbeit durch und stellt seine Arbeit auf überregionalen Infoveranstaltungen vor, um das Projekt sichtbar zu machen und assoziierte Akteur:innen besser zu vernetzen. „Ganz wichtig sind Verbündete, so Projektleiterin Lisa Denneler.

Geschichte in die Zukunft tragen

Was können Akteur:innen, die gemeinsam mit Jugendlichen an Erinnerungskultur und politischer Bildung arbeiten, hier mitnehmen? „Am wichtigsten finde ich es, mutig zu sein, Dinge auszuprobieren und auch scheitern zu dürfen. Und zu gucken, was ist vor Ort da, und sich dann Verbündete suchen. Gemeinsam mit Künstler:innen und Studierenden zu arbeiten, bringt neue Blickweisen auf ein Thema und neue Möglichkeiten der Vermittlung, fasst es Lisa Denneler zusammen. Um Erinnerungsarbeit in die Zukunft zu tragen, sei aber das Allerwichtigste, junge Menschen ernst zu nehmen: „Wir sollten den Jugendlichen mehr zutrauen.“