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Jüdisches für den Unterricht

Interview mit Heiko Niebur (JMB di.kla)
und David Studniberg (Jewish Places)
am Jüdischen Museum Berlin

von Anna Muradyan 

Mit der Online-Plattform Jewish Places setzte das Jüdische Museum Berlin im Jahr 2018 einen Meilenstein in der Umsetzung ihres digitalen Konzepts: Eine interaktive Karte ermöglicht es Nutzer:innen, in lokalen Kontakt mit jüdischem Leben zu treten. Das neue Angebot JMB di.kla – gedacht als digitaler Klassenraum des Jüdischen Museums Berlin – ist ein weiterer Beitrag zur Entwicklung der digital gestützten Vermittlungsarbeit des Museums. JMB di.kla richtet sich an Lehrkräfte und Pädagog:innen, die mit ihren Schüler:innen jüdisches Leben rund um die Feste Purim und Pessach, die hebräische Sprache und Antisemitismus in Deutschland thematisieren wollen. In die Entwicklung der Plattform wurden Lehrkräfte aus ganz Deutschland eingebunden und deren Feedback bei der Gestaltung der Lerneinheiten berücksichtigt. So entstand ein an die Erfordernisse des schulischen Alltags angepasstes Bildungsangebot. Die Nutzung ist kostenfrei möglich.

Heiko Niebur, Ariane Kwasigroch und David Studniberg haben gemeinsam an den Lerneinheiten gearbeitet und die digitale Bildungsplattform JMB di.kla ins Leben gerufen.

Am 26. März 2025 führte Anna Muradyan von MAKURA ein Interview mit Heiko Niebur und David Studniberg im Jüdischen Museum Berlin.

MAKURA: Die digitale Bildungsplattform JMB di.kla ist seit März 2025 online. Wie funktioniert sie?

Heiko Niebur: JMB di.kla ist ein Online-Lernangebot, das auf der Website des Jüdischen Museums zu finden ist. Auf der Startseite sucht man sich eines der Themen und das dazu passende Lernangebot aus. Zur Auswahl stehen Lerneinheiten für eine einzelne Schulstunde, für Doppelstunden und auch einzelne Kurzimpulse, die zwischen drei und dreißig Minuten dauern.

Über einen QR-Code kann die Lehrperson die Schüler:innen per mobilem Endgerät in einen digitalen Gruppenarbeitsraum einladen. Dort werden sie von einer digitalen Persona, also einem Chatbot, mit dem Namen „di.kla“ empfangen und begleitet. Ab hier können sich die Lehrkräfte und Schüler:innen gemeinsam den Anregungen zur Diskussion, den Abstimmungen, Video- und Audiobeiträgen und Infotexten widmen. Es gibt hier immer wieder Pausen, um analog reflektieren und diskutieren zu können. Alles, was man für die Nutzung der Plattform benötigt, sind eine Internetverbindung, ein Gerät und gegebenenfalls Kopfhörer.

„Denn sich mit sich selbst und anderen Perspektiven zu beschäftigen ist ein wichtiges Werkzeug für ein demokratisches Miteinander. Diese Idee wohnt dem Konzept von JMB di.kla inne.“

Das Ziel hinter dem Projekt ist es…

David Studniberg: …als zentrale Plattform für Jüdische Geschichte und Gegenwart sichtbar und erreichbar zu sein. Wir wollen die Objekte, Themen und Inhalte des Jüdischen Museums Berlin mittels der digitalen Plattform noch besser vermitteln und weitreichender mit Menschen in Kontakt treten. Insgesamt möchte das Jüdische Museum Berlin mit all seinen Angeboten einen persönlichen Eindruck von jüdischer Realität vermitteln. Wie sieht zum Beispiel der Lernalltag an einer jüdischen Schule aus und was macht ihren Lerngeist aus? Welche Dinge gibt es an einer jüdischen Schule, die es an anderen Schulen nicht gibt? Welche Ähnlichkeiten existieren wiederum? Über Fragen wie diese sollen Jugendliche Verknüpfungen zwischen ihrer eigenen Lebensrealität und der jüdischen herstellen und dadurch ein Bewusstsein für sie entwickeln können. Wenn eine Schülerin in einer Audioeinheit beispielsweise davon erzählt, wie es ihr damit geht, dass an ihrer Schule Sicherheitskontrollen am Eingang durchgeführt werden, hat es einen ganz anderen Effekt, als wenn man darüber liest. Diese persönliche Auseinandersetzung schafft Nähe. Dieser Ansatz wird auch für künftige Lerneinheiten maßgeblich sein – dafür lernen wir derzeit viel aus dem Feedback der Schulen, die JMB di.kla schon getestet haben.

Im INSPIRE „Erleben, was uns zusammenhält – kulturelle Bildung in der Demokratie“ auf MAKURA.de geht es um die Chancen, die die kulturelle Bildung zur Stärkung von Demokratie und Solidarität birgt. Wie kann di.kla zur Stärkung einer demokratischen Gesellschaft beitragen?

Heiko Niebur: JMB di.kla soll die Multiperspektivität jüdischen Lebens zeigen. Wir wollen zulassen, dass die Elemente der jüdischen Geschichte, Religion und Kultur, die erst einmal nicht begriffen werden können, in einem gemeinsamen Dialog und in der Beschäftigung mit den multimedialen Inhalten der Plattform erfahrbar werden. Dieser Gedanke, Gesprächsanlässe zu bieten und Raum für Interpretationen zu lassen, ist grundlegend für kulturelle Bildung und Demokratiebildung.

Kultur und Demokratie sind Gegebenheiten, die ständig in Bewegung sind und in denen verschiedene Perspektiven gleichzeitig existieren und sich verschieben können. Für ein Verständnis von Kultur und Demokratie ist es deshalb für Jugendliche und junge Erwachsene eine wichtige Erfahrung zu spüren, dass sie eigene Erfahrungen auch dann einbringen können, wenn Meinungsverschiedenheiten bestehen. Dann wird der Austausch dynamisch und interessant. Sich mit sich selbst und anderen Perspektiven zu beschäftigen ist ein wichtiges Werkzeug für ein demokratisches Miteinander. Diese Idee wohnt dem Konzept von JMB di.kla inne.

David Studniberg: Darüber hinaus soll JMB di.kla durch die Inhalte und die dialogischen Methoden für die Bedürfnisse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere auch von Minderheiten, sensibilisieren. Ausgehend von den Belangen der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland kann man schließlich auch ein Sensorium für andere Minderheiten entwickeln und verstehen, welche Gemeinsamkeiten es dort gibt. Das Zusammenführen mehrerer Identitäten – etwa jüdischer und deutscher –, das Sprechen verschiedener Sprachen, persönliche Migrationserfahrungen sowie die Erfahrungen von Eltern- und Großelterngenerationen und erlebte Diskriminierung können ein gemeinsames Gefühl der Identifikation zwischen Menschen schaffen. Die jungen Generationen sind für diese Auseinandersetzung offen und es ist vielversprechend, genau dort anzusetzen, um mehr Wissen, Erfahrung und vor allem Verständnis für die Situation von Minderheiten zu entwickeln, und somit den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu fördern.

„Das Themenspektrum gibt fächerübergreifend vieles her, sodass man zum Beispiel beim jüdischen Fest „Purim“ nicht nur über den religiösen Hintergrund des Festes sprechen kann, sondern eben auch über Themen wie Emanzipation und Identität.“

Was erwartet Lehrkräfte in einer einzelnen Lerneinheit?

Heiko Niebur: In den Lerneinheiten ist die Lehrkraft als Begleitung und Moderation gefragt, wenn es zum Beispiel darum geht, einen bestimmten Aspekt aus einer Lerneinheit zu diskutieren. Am rechten Rand der Lerneinheiten gibt es Kästchen mit Tipps für Diskussionsrunden. Lehrkräfte sollen ohne große Vorbereitung das Material nutzen können und den Lernprozess gleichzeitig als aktive Teilnehmende unterstützen.  

Uns ist es wichtig, dass Lehrkräfte und Lernende zusammen auf Lernreise gehen. So kann es bei einem bestimmten Thema auch einfach nur eine Stimmungsabfrage geben wie etwa zur Frage „Braucht es Geschichten über Held:innen?“. Zur Vertiefung gibt es kurze Erklärfilme oder Audioeinheiten, die das Thema in den Kontext setzen. In einem Chatfenster meldet sich zwischenzeitig „di.kla“ mit weiterführenden Informationen zu Wort. In einem Dialog tauschen die Lernplattform und die Lernenden ihr Wissen aus.

David Studniberg: Es geht also nicht darum, Wissen abzufragen, sondern Perspektiven zu schaffen, die mit einer Geschichte verbunden sind – beispielsweise die Bedeutung von Essen und Geschmack im Kontext des Festes Pessach. Die Plattform funktioniert über das Neugierig-machen, das Kennenlernen und Entdecken, das die Lernenden und Lehrenden Schicht für Schicht einem Thema näherbringen soll.

Welche Chancen eröffnen sich Lehrkräften mit dem Einsatz der Plattform?

Heiko Niebur: Zum einen wird der organisatorische Aufwand durch JMB di.kla vereinfacht. Die Lehrkräfte kommen mit ihren Schüler:innen aus ganz Deutschland und sogar anderen europäischen Ländern ins Museum nach Berlin und lernen uns darüber kennen. Aber niemand muss zwingend ins Berliner Museum kommen, um sich mit unseren Themen auseinander zu setzen. Wir haben die Möglichkeit, mit unserer mobilen Ausstellung JMB on.tour die Schulen zu besuchen, zugleich wünschen sich viele noch mehr Austausch und Input zu den Themen – diese Lücke füllen wir mit di.kla.

David Studniberg: Dabei besteht nicht nur das Bedürfnis über die Themen zu sprechen, sondern sie im Ethik-, Philosophie-, Geschichts-, Deutsch- oder Religionsunterricht mit Bedeutung zu füllen. Das Themenspektrum gibt fächerübergreifend vieles her, sodass man zum Beispiel beim jüdischen Fest „Purim“ nicht nur über den religiösen Hintergrund des Festes sprechen kann, sondern eben auch über Themen wie Emanzipation und Identität. Genauso können besonders gesellschaftsrelevante Aspekte wie Antisemitismus im Ethikunterricht oder in der Gesellschaftskunde thematisiert werden. In der Lerneinheit „Jüdische Orte“ werden dann eher lokal-geschichtliche Aspekte jüdischen Lebens wie für den Erdkundeunterricht herausgegriffen. Es gibt also viele Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Unterrichtsfächern.

„Die Plattform funktioniert über das Neugierig-machen, das Kennenlernen und Entdecken, das die Lernenden und Lehrenden Schicht für Schicht einem Thema näherbringen soll.“

Mit der Teilnahme und dem Erfolg beim KULTURLICHTER-Preis 2020/21 konnte die Lernplattform di.kla konzeptionell und technisch umgesetzt werden. Was verbindet das Projekt „Jewish Places“ mit JMB di.kla?

David Studniberg: Das Projekt Jewish Places ist in der Online-Plattform JMB di.kla aufgegangen und kommt dort als einzelne Lerneinheit vor. Verschiedene Orte zu besuchen, um etwas Neues zu erfahren, ist bei Jewish Places eine essenzielle Methode für die Vermittlung Jüdischen Lebens. JMB di.kla erweitert den Lernprozess auf die Ebene des aktuellen Standortes der Lernenden, also beispielsweise das Klassenzimmer einer Schule. Bei der Übung „Jewish Places“ geht es dann zum Beispiel darum, jüdische Orte kennenzulernen, die sich in der unmittelbaren Umgebung befinden. Mit JMB di.kla können sich die Lernenden also während einer Unterrichtseinheit in der Nähe ihrer Schule auf die Suche nach jüdischen Orten begeben. Ziel ist es, zu erfahren, wo überall jüdisches Leben existiert und darüber auch mit der eigenen Umgebung vertraut zu werden. Im übertragenen Sinne sollen sich die Lernenden in der Gesellschaft verorten und üben, ihr eigenes Umfeld bewusster wahrzunehmen.

Und zu guter Letzt: Wofür steht der Name „di.kla“?

David Studniberg: Bei dem Namen „di.kla“ handelt es sich um ein Akronym, das aus zwei Wörtern besteht. Zum einen soll es eine Abkürzung für „Digitaler Klassenraum“ sein. Gleichzeitig ist „Dikla“ auch ein hebräischer Name. Er wird als geschlechtsneutraler Vorname verwendet und bedeutet übersetzt „der Palmenbaum“. In der Tora wird der Palmenbaum als ein Symbol für Wachstum und Resilienz gedeutet – etwas, das aus dem Palmenbaum erwächst, bringt Positives und Gutes mit sich. Palmenzweige wurden früher unter anderem dafür genutzt, um Laubhütten für das Laubhüttenfest zu bauen. Im übertragenen Sinne sehen wir in den Blättern der Palme die einzelnen Bausteine für die Lerneinheiten, die die Lernenden symbolisch mit jüdischem Leben vertraut machen. Diese Metaphorik fanden wir ganz treffend bei der Namensfindung der Plattform.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke in das Projekt!

Fakten
Projektteam

Heiko Niebur, Ariane Kwasigroch, David Studniberg und weitere Mitarbeiter*innen des Jüdischen Museums Berlin 

Förderung:

Eigenmittel des Jüdischen Museums Berlin, Fördermittel der Friends of the Jewish Museum Berlin in the U.S.

Zielgruppe:

Lehrkräfte und Pädagog:innen an nationalen, bilingualen, internationalen und deutschen Schulen im Ausland; für den Unterricht mit Kindern und Jugendlichen ab der 7. Jahrgangsstufe

Projektzeitraum

Seit März 2025

Ansprechpersonen:

Team JMB di.kla
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstr. 9-14
10969 Berlin